The Florida Project (2017)
„Paralleluniversum in Pastell“
Nach seinem bereits äußerst gelungenen Film TANGERINE L.A., der als erster Film komplett auf iPhones gedreht wurde, ist Regisseur Sean Baker nun mit seinem neusten Filmprojekt auf der Leinwand zu sehen: THE FLORIDA PROJECT – (leider nur) eine Oscar Nominierung gab es obendrein, und zwar für Willem Dafoe als besten Nebendarsteller. Gewonnen hat er nicht, doch was der Film auf (und in) dem Kasten hat, verrate ich euch in meiner Review.
Unter dem Regenbogen – da befindet sich das selbst ausgerufene Königreich von Moonee, Scooty, Dicky und Jancey. Und am Ende dieses Bogens steht ein Topf voll Gold. Denn Geld kann Glück kaufen – zumindest in dieser Welt. Wäre da doch bloß nicht dieser gemeine Kobold (oder Motelmanager Bobby), der verhindern will, dass man an den Schatz gelangt. Und selbst wenn – davon lassen sich die resoluten Kids nicht einschüchtern und stiefeln voller Tatendrang drauf los; ansonsten muss man diesen grünen Wicht halt ordentlich verhauen.
Abgesehen davon leben die vier Freunde ein farbenfrohes und unbeschwertes Leben – so scheint es zumindest. Blickt man jedoch hinter die pastell-lilane Fassade des „Magic Castle“ – einem heruntergekommenen Motel in der Touristenhochburg Florida, unweit von Disney World – sieht die Realität jedoch leider ziemlich anders aus.
Moonees Mutter Halley (Bria Vinaite) ist gewissermaßen selbst ein Kind und hat keine sonderlich gute Kinderstube erfahren. Rauchen, Alkohol, Partys, Junkfood, Prostitution: diese Stichworte dominieren das Leben der alleinerziehenden Mutter und damit natürlich gewissermaßen auch das ihrer Tochter.
Doch liegt in alledem ein kleiner Trost: die Not schweißt an diesem Ort gezwungenermaßen zusammen. Hier kennt man sich, hier werden Freundschaften geschlossen und hinter jeder Tür des Motels steckt ein Schicksal.
Sozialer Brennpunkt in Bonbon-Farben
Das „Magic Castle“ ist jedoch nicht nur der Spielplatz von Moonee sondern vor allem das Revier von Motelmanager Bobby (Willem Dafoe), der hinter seiner manchmal etwas schrofferen Schale einen butterweichen Kern aufweist und das Herz am rechten Fleck hat.
Ob Willem Dafoe eine Oscar-Nominierung für diesen Film verdient hat ist streitbar, jedoch hat es der Film in jedem Fall. Gerne hätte ich THE FLORIDA PROJECT generell noch mehr Aufmerksamkeit bei den letzten Academy Awards gewünscht.
Es ist einfach ein absoluter Augenschmaus die diesen Cast mit größtenteils unerfahrenen Schauspielern miteinander interagieren zu sehen. Hier muss insbesondere die Leistung von Brooklynn Prince, die Moonee spielt, hervorgehoben werden. Selten habe ich ein Kind auf der Leinwand gesehen, dass dermaßen viele Emotionen beim Zuschauer auslösen konnte. Und das als Newcomerin.
Gespielte Realität für unter die Haut
Generell scheinen es Regisseur Sean Baker soziale Randgruppen angetan zu haben. Bereits in TANGERINE L.A. begleitete er zwei farbige Transfrauen bei ihrem Alltag als Prostituierte auf den Straßen von Los Angeles. Nun richtet Baker mit THE FLORIDA PROJECT in einer erneuten Milieustudie seine Aufmerksamkeit auf sozialschwache Familien, die im Schatten des Freizeitparkgiganten Disney World und der dortigen Tourismusbranche dauerhaft in Motels hausen.
Es stimmt. Sean Baker gehört definitiv zu den humanistischen Regisseuren unserer Zeit. THE FLORIDA PROJECT fängt das Gefühl von kindlicher Freiheit und Abenteuerdrang meisterhaft ein. Obendrein gelingt auch der selbstauferlegten Balanceakt zwischen fantasievollem Coming-of-Age und dem beinahe dokumentarischem Portraitieren der bitteren Realität.
So wird das Beobachten von weidenden Kühen zu einer waschechten Safari – oh wie sehr wünschte man sich in diesen Momenten noch einmal die kindliche Vorstellungskraft zurück!
Dennoch zeigt Baker in seinem Film ebenso den Kampf gegen die Armut und setzt sich mit Vorurteilen gegen die amerikanische Unterschicht auseinander.
Und dann ist da diese herzzerreißende Endsequenz – denn wo soll sich ein kleines Mädchen festhalten, wenn die Welt scheinbar um sie zusammenbricht – wenn nicht an ihren eigenen Zähnen bzw. mit einem verzweifelten Griff in ihren Mund? Natürlich ist das darauf folgende Szenario wenig realistisch – um hier einen kritischen Aspekt einfließen zu lassen – aber das ist dann irgendwie auch egal. Denn da hat man bereits einen wahrhaft erfüllenden Film gesehen, von dem man zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, was für eine immense Nachwirkung er hoch haben wird.
Zumindest erging es mir so.
Und so stiefelte auch ich drauf los. In ein Lichtspielhaus meines Vertrauens. Um mir mit Freude ein weiteres Mal die Abenteuer von Moonee und ihren Freunden anzusehen. In diesem Sinne entlasse ich euch nun in die reale Welt – auf das ihr in eure ganz eigene Traumwelt flüchten möget, wann immer dies für euch von Nöten ist.
9,5 / 10
Titel: | The Florida Project |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | FSK 12 |
Regie: | Sean Baker |
Cast: | Willem Dafoe, Brooklynn Prince, Valeria Cotto, Christopher Rivera, Bria Vinaite, Macon Blair, Sandy Kane, Caleb Landry Jones, Karren Karagulian |
Produktionsland: | USA |
Länge: | 115 Minuten |
Kinostart: | 15. März 2018 |
Trailer:
Beitragsbild: © Prokino