Nightcrawler (2014)
„Nächtlicher Bodensatz des Journalismus“
Nightcrawler. Das sind die journalistischen Aasgeier der Nacht. Ein Job, den es durch den hiesig fehlenden Kriminalitätsvoyeurismus in dieser Form nicht in Deutschland gibt. Zum Glück, denn die Aufgabe eines solchen Nightcrawler ist es, möglichst dramatische Bilder von nächtlichen Verbrechen zu filmen und das gedrehte Material sofort an den meistbietenden Fernsehsender zu verkaufen. Drehbuchautor Dan Gilroy gibt mit NIGHTCRAWLER sein Regiedebüt und verschaffte Jake Gyllenhaal zu seiner nächsten ungewöhnlichen Rolle, in der er abermals brilliert.
Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) ist ein schmieriger Typ und ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse dazu. Er will es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen – beziehungsweise vom Dieb zum Unternehmer, denn Lou ist ein Kleinkrimineller. Bewaffnet mit einem Bolzenschneider klaut er Altmetall und verscherbelt dies anschließend auf dem Schrottplatz. Dort versucht er sich zunächst erfolglos in Verhandlungen um den Preis der Hehlerware. Als diese scheitern, will sich Lou mit auswendig gelernten Manager-Floskeln selbst verkaufen und scheitert ebenfalls. Wer würde schon gerne einen offensichtlichen Dieb einstellen?
Auf dem Heimweg seines unzufriedenstellenden Deals, kommt er an einem Unfall mit Polizeieinsatz vorbei. Fasziniert beobachtet Lou ein Kamerateam, das die Unglücksstelle und die Opfer offensiv filmt. Der Freelancer Joe Loder (Bill Paxton) erklärt dem Schaulustigen, dass sich diese Aufnahmen bei den „quotengeilen“ lokalen TV-Sendern sehr gut verkaufen würden. Lou wittert seine Chance und soll seine Berufung finden. Ein gestohlenes Rennrad wird für die Erstausstattung – ein Polizeifunkgerät und einen billigen Camcorder – versetzt.
Schon bald erkennt die News-Veteranin eines kleinen Senders, Nina Romina (Rene Russo), das Potential des Newcomers, kauft ihm seine ersten Aufnahmen ab und verlangt nach mehr. Verbesserungsvorschläge gibt es gratis dazu. Schnell kristallisiert sich Lou Blooms Erfolgsrezept heraus: er hat keinerlei moralische Bedenken und ist stets bereit immer einen Schritt weiter als seine Konkurrenz zu gehen – auch weitab aller legaler Pfade.
Devise: draufhalten
„Wenn man im Lotto gewinnen will, dann braucht man die Kohle für’n Lottoschein“, das ist Lous Motto. Der blasse, schlaksige Hipster mit Zopf und Clubmaster-Brille verbringt sein doch recht unscheinbares Leben in seiner kargen Junggesellen-Bude. Neben Online Manager Kursen flickt er seine Sachen, bügelt oder gießt seine Pflanze. Wir begleiten in NIGHTCRAWLER den Protagonisten bei seiner Entwicklung, doch das Ganze wirkt aalglatt und nicht sonderlich koscher.
Lernwillig, ehrgeizig und wissbegierig wie er ist, hängt sich Lou an andere und folgt so lange dem Prinzip der Mimese, der Nachahmung, bis er aus dem Windschatten seiner Kollegen heraustreten kann. Lou ist dreister als alle und entwickelt ein bizarres, ästhetisches Auge für Kollagen und Bildkompositionen der Angst und Gewalt. Hoch ambitioniert merkt er schnell, dass er als Einzelgänger nicht weiter kommt und Hilfe bei seinen nächtlichen Beutezügen benötigt.
So wird spontan ein Vorstellungsgespräch im Diner für die Stelle eines Navigators an seiner Seite arrangiert. Schon bald wird eines deutlich: Lou ist ein Soziopath. Er sieht die Menschen um ihn herum als Objekte – mal mehr, mal weniger nützlich – bei denen er ganz genau weiß, welche Knöpfe es zu drücken gilt. Bestätigt durch seinen Erfolg wächst sein Selbstbewusstsein stetig. Dabei bestimmt insbesondere Pragmatismus sein Handeln.
Die Schattenseite eines Berufs
Jake Gyllenhaal verkörpert diesen manipulativen Charakter, der stark einer Hyäne gleicht, einfach grandios. Ein eiskalter Schauer überkommt einen bei der Sichtung des Films. Doch genau wie bei einem Unfall, kann man nicht wegsehen und sich dem Sog von NIGHTCRAWLER einfach nicht entziehen. Teilweise verliert sich Gyllenhaal komplett in der Rolle. Einige Kilos wichen in der Vorbereitung. Das Resultat: ein abgemagerter Körper, ein eingefallenes, ausgemergeltes Gesicht und Wangenknochen wie Steilklippen. In seinen Augen spiegelt sich die morbide, dunkle Faszination wieder, deren Wahnsinn in einem eindrucksvollen Ausraster samt zertrümmertem Spiegel gipfelt.
Wie ein Berserker hetzt die von ihm verkörperte Rolle durch L.A. – begleitet vom aufheulenden Motor seines Sportwagens und verzieht im Angesicht des Todes keine Miene. Viel mehr heißt es dann: Action! und die minutiöse Kameraführung mit Liebe zum Detail beginnt. Eine mehr als dunkle Version einer Karla Kolumna.
Gilroy hält dem Zuschauer den Spiegel vor und zwingt unweigerlich zur Selbstreflexion: wie weit würde ich für die Erreichung meiner Ziele gehen? Dabei herausgekommen ist ein faszinierender Nachtfilm, der sich nicht auf spitzfindige Gesellschaftssatire oder packenden, rasanten Thriller festnageln lässt. Es ist eine bizarre Version des Selfmade-Man, die der Regisseur in NIGHTCRAWLER zeichnet.
Unterschwellig übt der Debütant dabei ebenfalls eine schattenhafte Kritik an der Generation „beziehungsunfähig“ und regt den Sehenden zum Nachdenken über die eigene Schau-und Sensationslust und ihren Preis an. Ein interessantes Element des Films besteht zudem darin, dass Lou nicht zu schlafen scheint – genau wie die Stadt mit ihren potentiellen Stories, die ihn umgibt.
Was als Branchenporträit einer widerwärtigen Industrie und ihrer Geldmacherei mit Ängsten der Mittelschicht gedacht war, verfehlt jedoch stellenweise den Zeitgeist. Genießt heutzutage doch Social Media einen sehr hohen Stellenwert im medialen Zeitgeist. Nichtsdestotrotz büßt NIGHTCRAWLER nicht im geringsten etwas von seiner Wuchtigkeit bezüglich der Medienkultur sowie den Grenzen des American Dreams ein. Darüber hinaus liefert Jake Gyllenhaal in NIGHTCRAWLER wohl eine der besten Performances seines bisherigen Schaffens ab und katapultiert sich immer stärker in die Riegen des „Independent-Kinos“.
8,5 / 10
Titel: | Nightcrawler |
Produktionsjahr: | 2014 |
Altersfreigabe: | FSK 16 |
Regie: | Dan Gilroy |
Cast: | Jake Gyllenhaal, Bill Paxton, Rene Russo, Ann Cusack, Anne McDaniels, Riz Ahmed, Kevin Rahm |
Produktionsland: | USA |
Länge: | 117 Minuten |
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Trailer:
Beitragsbild: © Concorde
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Für mich immer noch unverständlich, dass es für diese Performance nicht zumindest eine Oscar-Nominierung gab… Tolle Kritik! 🙂
Vielen Dank! Der Meinung kann ich mich nur anschließen – ein Graus. Ich hoffe, dass sich Gyllenhaal davon nicht entmutigen lässt und dem Indie-Genre weiterhin treu bleibt 🙂
Der Film klingt wirklich interessant. Kommt auf die Lite – danke fürs Vorstellen 🙂
Das freut mich sehr! Lass mich doch gerne wissen wie du ihn fandest 🙂