Unsere kleine Schwester (2015)
„Wie im Mädchenwohnheim“
Bezüglich japanischer bzw. generell asiatischer Filmkunst bin ich noch mehr als grün hinter den Ohren. Der Kinostart von UNSERE KLEINE SCHWESTER bot daher in meinen Augen einen kleinen aber feinen Einstieg in diese Kultur mit ihrer doch etwas anderen Art und Weise der Inszenierung.
Die Schwestern Sachi (Ayase Haruka), Yoshino (Nagasawe Masami) und Chika (Kaho) leben gemeinsam in einem alten, traditionellen japanischen Holzbau, in Kamakura, einer Küstenstadt rund 50 Kilometer außerhalb von Tokio. Umgeben wir dieses Haus von einem dichtbewachsenen Garten, in dem ein Jahrzehnte alter Pflaumenbaum steht, aus dessen Früchte die Schwestern Jahr für Jahr Pflaumenwein herstellen. Es ist ein beschauliches Leben.
Eines Tages erreicht sie die Nachricht des Todes ihres Vaters, der die Familie vor 15 Jahren verlassen hat und woanders eine neue Familie gründete. Die drei jungen Frauen reisen aufs Land um seiner Beerdigung beizuwohnen und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Dort treffen sie auf ihre kleine Halbschwester Suzu (Hirose Suzu), die nun mehr oder weniger auf sich allein gestellt ist.
Bei der vermeidlichen Verabschiedung am Bahnhof bietet Sachi, die älteste Schwester, der 13-jährigen kurzerhand an, zu ihnen zu ziehen. Das Haus sei groß genug und immerhin sei man Familie. Äußerst dankbar und glücklich nimmt Suzu die Einladung ihrer großen Schwestern an und zieht bald darauf nach Kamakura um dort ein neues Leben zu beginnen.
Modernes Familienportrait
Suzu ist wie ein Wirbelwind, der durch das alte Haus fegt und ihre Schwestern mitreißt. Was folgt ist der Ablauf des neuen-alten Alltags. Sachi arbeitet als Krankenschwester, wird später zur Leiterin der neuen Palliativstation des örtlichen Krankenhauses und kümmert sich auch Zuhause um alles und jeden. Sie führt eine heimliche Beziehung zu einem verheirateten Kinderarzt, der nach Boston gehen will und sie mitnehmen möchte. Soll sie ihm folgen und alles zurücklassen?
Yoshino, die in der Insolvenzabteilung eines Geldinstitutes arbeitet, gerät hingegen immer an die falschen Männer, ist eher ausgelassen und trinkt gerne mal einen über den Durst. Chika ist wohl die unbeschwerteste der Schwestern. Sie ist mit einem ehemaligen Bergsteiger liiert und arbeitet mit ihm zusammen in einem örtlichen Sportgeschäft.
Bei ihren Schwestern geht die schüchterne und gezwungenermaßen erwachsene und reife Suzu regelrecht auf. Endlich kann sie Kind sein: Fußball spielen, sich mit Freunden treffen und auf Feste gehen. Stück für Stück entwickelt sich eine Patchwork-Familie der ganz anderen Art.
„Ich bin glücklich, dass mich Schönheit immer noch so stark berührt“
UNSERE KLEINE SCHWESTER basiert auf dem Manga »Umimachi Diary« von Akimi Yoshida. Das neue Werk von Kore-Eda Hirokazu (NOBODY KNOWS, LIKE FATHER, LIKE SON) ist die Momentaufnahme einer Familie und der modernen Frau im heutigen Japan. Der Film ist sehr seicht und doch wunderschön. Es passiert nichts wirklich Spannendes in dem Sinne – doch jede der Schwestern hat seine kleinen Geheimnisse.
Hier wird der Alltag mit seinen kleinen Feinheiten nachskizziert, auf die es eben ankommt und die die Kernessenz des Lebens bilden. Es sind Szenen, die wie Kirschblütenblätter bei einer leichten Brise leise herabsinken. Jede einzelne scheint nichts Besonderes zu sein – doch zusammen ergeben sie ein wunderschönes und herzerwärmendes großes Ganzes. UNSERE KLEINE SCHWESTER hat jedoch auch seine Längen und verliert sich dann doch manchmal etwas zu sehr in den Alltagssituationen.
Es wird in UNSERE KLEINE SCHWESTER viel gegessen, getrunken, gelebt – die Grundpfeiler einer jeden Kultur. Der Zuschauer nimmt an Trauer- und Andachtszeremonien teil oder entdeckt hier und da Sitten und Bräuche der japanischen Kultur. Szenen wie eine Bergabfahrt auf einem Fahrrad durch einen schier endlosen Tunnel aus straßensäumenden Kirschbäumen, brennende Wunderkerzen auf einer nächtlichen Kimono-Party oder das Luftbild eines Fischkutters im dunklen Meer, der von einem Feuerwerk in rotes Licht getaucht wird, bleiben im Gedächtnis.
Wie Sandkörner am Strand
In UNSERE KLEINE SCHWESTER hat zwar die Vergangenheit ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung, doch das was zählt ist einzig und allein das hier und jetzt. Jedoch ist die asiatische Gefühlswelt eine für Europäer eher befremdliche. In traurigen Szenen wird hier und da scheinbar gelächelt, das „Gesicht wird gewahrt“. Daher holte mich der Film emotional auch nicht immer ganz „ab“.
Dabei geht es um existentielle Fragen und Konflikte: das Band zwischen Geschwistern, Coming-of-Age oder die Frage nach der Schuld. Dennoch kann sich ein jeder irgendwo in den Protagonisten aus UNSERE KLEINE SCHWESTER wiederfinden. Ob es Frauen sind, die sich in den verrückten Hühnern wiedererkennen, Menschen, die eine Scheidung durchlebten oder die ihrer Kindheit beraubt wurden. Der Film bleibt trotz tiefgehendem Drama ruhig und präsentiert sich gänzlich unprätentiös.
7,5 / 10
Titel: | Unsere kleine Schwester (Umimachi Diary) |
Produktionsjahr: | 2015 |
Altersfreigabe: | FSK 0 |
Regie: | Kore-Eda Hirokazu |
Cast: | Ayase Haruka, Nagasawe Masami, Kaho, Hirose Suz |
Produktionsland: | Japan |
Länge: | 128 Minuten |
Kinostart: | 17. Dezember 2015 |
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Trailer:
Beitragsbild: © Pandora Film
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