Meine 66. Berlinale
Seit gestern sind sie wieder vorüber, die 66. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Manche lieben sie, manche hassen sie. Besonders „normale“ Kinogänger verteufeln Berlins 5. Jahreszeit. Am Potsdamer Platz herrscht Ausnahmezustand, hier und da Autogrammjäger in der Hoffnung auf die Stars und Sternchen, gestresste Journalisten, die mit ihren im Wind wehenden Akkreditierungen von einer Vorstellung zur nächsten hetzen, lange Schlangen vor den Vorverkaufsstellen und Kinos.
Ein riesiger cineastischer Zirkus. Und ich mittendrin – zumindest teilweise. Es war meine erste Berlinale und leider konnte ich nicht zu Vorstellungen aller Filme, mit denen ich geliebäugelt hatte. Dennoch möchte ich euch mein kleines Berlinale-Tagebuch nicht vorenthalten! Die Reviews der Filme folgen.
Montag, 8. Februar
Start des Vorverkaufs
In weiser Voraussicht, machte ich mich bereits früher auf den Weg zur AUDI CITY, einer der vier Vorverkaufsstellen für Berlinale Tickets, am Kurfürstendamm.
09:20 Ankunft an der AUDI CITY. Mindestens 50 Leute standen bereits vor mir in der Schlange.
10:00 Beginn des Vorverkaufs, die Schlange dezimierte sich jedoch äußerst langsam.
Freundlicher Weise wurde draußen alkoholfreier Punsch zum Aufwärmen verteilt!
11:10 Nach nun fast zwei Stunden draußen, konnte ich nun ins Warme.
11:40 JUHU! Endlich hielt ich die Karten für zumindest zwei Vorstellungen in den Händen.
Wenn auch sichtlich gefrustet, dass die anderen zwei Karten jeweils erst drei Tage im Voraus
erhältlich sind und ich mich somit in den nächsten Tagen noch zwei weitere Male anstellen
musste.
Mittwoch, 17. Februar
CHI-RAQ
Wettbewerb (Außer Konkurrenz)
von Spike Lee
USA 2016, 127 Minuten
mit Nick Cannon, Teyonah Parris, Samuel L. Jackson, Jennifer Hudson, Wesley Snipes, Angela Bassett, John Cusack
Um 12:30 erwartete mich CHI-RAQ, der neue Film von Spike Lee im Friedrichstadtpalast. Ich (als Berlinerin) war noch nie dort und freute mich um so mehr, das Gebäude auch mal von innen sehen zu können. Dadurch, dass ich schon vorher unterwegs war, stellte ich mich bereits über eine Stunde vor Vorstellungsbeginn in die Schlange, was ich zunächst für etwas übertrieben hielt. Doch siehe da: mindestens 20 Leute standen bereits dort. Nach 15 Minuten verdreifachte sich sogar die Schlange.
INHALT
„Chicago trägt in der US-amerikanischen Hip-Hop-Szene schon lange den Namen „Chi-Raq“. Ein Begriff, der darauf anspielt, dass die berüchtigte South Side als Mord-Hauptstadt der USA gilt. Zwischen 2001 und 2015 starben hier 7356 Menschen durch Waffengewalt, eine „nationale Notlage“, wie Regisseur Spike Lee mit fetten roten Lettern mitteilt. Dabei ist Chi-Raq kein naturalistisches Schicksalsdrama, sondern eine pralle, mit Witz, Satire und viel Musik angereicherte Variante von „Lysistrata“, der klassischen Komödie des griechischen Dichters Aristophanes. Nachdem die Straßenkämpfe zwischen den rivalisierenden Gangs der Trojaner und Spartaner erneut auch zu Todesopfern unter Kindern und Jugendlichen geführt haben, beschließt eine Gruppe von Frauen, angeführt von der schönen Lysistrata, der immer mehr ausufernden Gewalt mit weiblicher List und Kraft entgegenzutreten. Mit einem Sex-Streik wollen sie die jungen schwarzen Männer, darunter auch Lysistratas Freund, den Rapper Demetrius Dupree, dazu zwingen, dem unberechenbaren Hass abzuschwören. Bald geht der Aufruf, den Kreislauf der Rache endlich zu durchbrechen, weit über die Grenzen Chicagos hinaus ..“
Donnerstag, 18. Februar
REMAINDER
Panorama
von Omer Fast
Großbritannien / Deutschland 2015, 104 Minuten
mit Tom Sturrige, Cush Jumbo, Ed Speleers, Danny Webb, Nicholas Farell
Spät abends um 22:30 konnte ich mich dann auf die Vorstellung des Mindfuck-Films REMAINDER freuen, den ich bis dato lustigerweise immer „Reminder“ ausgesprochen hatte und dort eines besseren belehrt wurde. Dieser Film muss mindestens ein zweites oder gar drittes Mal gesichtet werden um ihn ansatzweise entschlüsseln zu können. Die Vorstellung war nicht ausverkauft, daher gestaltete sich das Betreten des Saals und die Platzwahl als äußerst angenehm.
INHALT
„Ein Mann, ein schwarzer Rollkoffer, eine Straße. Plötzlich fällt etwas vom Himmel, trifft den Mann am
Kopf und schickt ihn ins Koma. Kurz nachdem er aufwacht, ist er um 8,5 Millionen Pfund reicher – Schweigegeld, sagt sein Anwalt. Aber wofür? Erinnerungen an die Zeit vor dem Unfall hat der namenlose Protagonist, gespielt von Tom Sturridge, ohnehin nicht mehr. Der erste Langfilm des israelischen Videokünstlers Omer Fast – eine Adaption des Debütromans von Tom McCarthy, mit dem gemeinsam Fast auch das Drehbuch schrieb – ist ein somnambul-brutales Vexierspiel von Wahrheit und Traum. Sind die Bilder von einem roten Ziegelhaus, einem Jungen, einer Frau mit Kopftuch, die den Protagonisten immer öfter heimsuchen, echte Erinnerungen? Wieso herrscht im Haus dieser Geruch? Durch die große Geldsumme zu allem befähigt und sämtlicher Skrupel beraubt, stellt er einen fähigen Helfershelfer namens Naz ein, der die vagen und raren „Rückblenden“ für ihn mit Schauspielern nachstellen lässt. Bis ins Detail perfekt muss alles sein, auch die Anzahl der schwarzen Katzen auf dem Dach muss stimmen. Doch langsam schleichen sich immer gewalttätigere Bilder in die surreale Welt der Hauptfigur …“
Freitag, 19. Februar
EL ABRAZO DE LA SERPIENTE
NATIVe von Ciro Guerra
Kolumbien Venezuela, Argentinien 2015, 125 Minuten
mit Jan Bijvoet, Brionne Davis, Nilbio Torres, Antonio Bolivar Salvador/Tafillama, Yauenkü Miguee
Auch wieder spät um 22:00, durfte ich dann mein persönliches Highlight sehen: EMBRACE OF THE SERPENT, der auch für den Oscar als Bester fremdsprachiger Film nominiert ist. Im wohl technisch bestem Kino Berlins, dem IMAX am Potsdamer Platz, konnte ich diesen spirituellen Fiebertraum in schwarz-weiß auf ganz großer Leinwand auf mich wirken lassen. Ein tolles Erlebnis!
INHALT
„Karamakate war einst der mächtigste Schamane der Region, aber Jahre der freiwilligen Isolation haben all seine Erinnerungen und Emotionen aus seiner Seele gelöscht. Evan, ein amerikanischer Botaniker, macht sich mit ihm auf die Suche nach der mystischen Pflanze Yakruna. Während sie immer tiefer in den undurchdringlichen Regenwald des Amazonas reisen, kehren Karamakates Sinne zurück. Wie die Strömungen eines Flusses, vermischt sich seine vergessene Vergangenheit mit der Gegenwart und enthüllt das tragische Schicksal seines Volkes, den Cohiuano, und seine einstige Suche nach der Pflanze mit Theo, einem deutschen Forscher. Inspiriert von den Tagebüchern der ersten Forschungsreisenden des kolumbianischen Amazonas im frühen 20. Jahrhundert und deren anthropologischen Schwarz-Weiß-Fotografien, zeigt der Film traumartig ein Streben nach Wissen. Die spektakuläre Kameraführung unterstreicht den enormen Respekt für den Geist des Dschungels und vermittelt eine tief emotionale Botschaft.“
Samstag, 20. Februar
Preisverleihung
Der große Tag der Preisverleihung! Punkt 19.00 habe ich den Livestream von 3sat verfolgt.
Anke Engelke, die durch den Abend führte, war sichtlich nervös – sehr schade. Generell verlief die Veranstaltung etwas „holprig“. Wie schon letztes Jahr (TAXI TEHERAN) gewann auch diesmal ein politischer Film.
Und hier sind noch einmal die Gewinner der 66. Berlinale:
Goldener Bär (Bester Film)
► FUOCOAMMARE (FIRE AT SEA)
Silberner Bär (Bester Darsteller)
► Majd Mastoura (INHEBBEK HEDI)
Silberner Bär (Beste Darstellerin)
► Trine Dyrholm (KOLLEKTIVET)
Silberner Bär (Beste Regie)
► Mia Hansen-Løve (L’AVENIR)
Silberner Bär (Bestes Drehbuch)
► Tomasz Wasilewski (ZJEDNOCZONE STANY MILOSCI – UNITED STATES OF LOVE)
Silberner Bär (Großer Preis der Jury)
► SMRT U SARAJEVO (DEATH IN SARAJEVO)
Silberner Bär (Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet)
► HELE SA HIWAGANG HAPIS (A LULLABY TO THE SORROWFUL MYSTERY)
Silberner Bär (Herausragende künstlerische Leistung)
► CHANG JIANG TU (CROSSCURRENT)
Sonntag, 21. Februar
CHANG JIANG TU
Wettbewerb
von Yang Chao
China 2015, 116 Minuten
mit Qin Hao, Xin Zhi Lei, Wu Lipeng, Wang Hongwei, Jiang Hualin
Am letzten Tag der Berlinale, dem Publikumstag, konnte ich mir dann auch den Gewinner-Film des Silbernen Bären für die Ästhetik ansehen: CROSSCURRENT. Verdient gewonnen, besticht der Film in der Tat mit seinen atemberaubenden Bildern und Kamerafahrten. Das war es dann leider auch schon, denn der Film zieht sich wie Kaugummi. Schade, hatte ich mir doch mehr erhofft. Auch das Wetter wollte an dem Tag so gar nicht mitspielen und so regnete es den ganzen Tag. Das Haus der Berliner Festspiele kannte ich noch gar nicht als Veranstaltungsort und konnte somit wieder ein Stück Berlins kennen lernen.
INHALT
„Mit seinem Frachtschiff fährt der junge Kapitän Gao Chun auf dem Jangtse flussaufwärts. Sein Vater ist vor kurzem gestorben, und sein Glaube besagt, dass der Sohn für die Befreiung der Seele des Vaters Sorge tragen muss. Zugleich sucht Gao Chun nach der Liebe seines Lebens. Doch alle Frauen, die er in den verschiedenen Häfen trifft, sind eine einzige Person: ein zauberisches Wesen, das immer jünger wird, je näher er dem Quellgebiet des Jangtse kommt. Die Flussfahrt wird zur Reise durch Zeit und Raum. Gao Chun begegnet Menschen, die ihn eine Weile begleiteten, und verliert sie wieder. Er lernt eine Stadt kennen, die dem Staudamm weichen musste und an anderer Stelle wiederauferstanden ist. Er hört die Geistergeschichte von einem Mädchen, das in den Körper eines Kaufmanns kroch. Er betritt eine Pagode, in der die Stimme Buddhas aus allen Richtungen erklingt. Und er vertieft sich in die Verse eines unbekannten Dichters, die ihm Geheimnisse seiner Vergangenheit eröffnen und ihn zum Nachdenken über eigene Schuld und Sühne bringen. In Yang Chaos Odyssee verschmelzen chinesischer Alltag, Politik und Poesie, Außen- und Innenwelt zu einem magischen Universum.“
Ich freue mich schon sehr auf die nächste Berlinale. Wer weiß, vielleicht werde ich dann ja sogar das Glück haben eine Akkreditierung zu erhalten.
Wart ihr auf der Berlinale? Wenn ja, welche Filme habt ihr gesehen?