The Revenant (2015)
„Der Geist ist willig, das Fleisch auch“
Ist Leo auf dem Oscar-Kurs? Wenn nicht jetzt – wann dann, möchte man meinen. Die schauspielerische Leistung, die DiCaprio in THE REVENANT an den Tag legt sucht seines gleichen. Es ist ein eisiger, dreckiger Weg den der Protagonist durch schier endlose Eislandschaften bestreitet. Das mexikanische Power-Duo, bestehend aus Regisseur Iñárritu und Kameramann Lubezki, hat hier einen Film kreiert, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, mit atemberaubender Schönheit besticht und doch seine Schwächen hat.
THE REVENANT ist die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte des Trappers Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), der als Scout unter dem Kommando von Captain Andrew Henry (Domhnall Gleeson) eine Gruppe raubeiniger Pelzjäger durch das unübersichtliche Terrain Nordamerikas führt. Sein halb-indianischer Sohn Hawk (Forrest Goodluck) begleitet ihn stets dabei.
Doch es ist nicht nur die Wildnis und die Witterungsumstände, die den Männern das Leben zur eisigen Hölle machen. Eines Tages wird ihr Lager von einem einheimischen Indianerstamm überfallen. Pfeile schießen durch die lichten Bäume, treffen dutzende Männer. Ein Chaos bricht aus, in dem die wenigen Überlebenden auf einem Boot zu entkommen versuchen. Glass ist durch seine Ortskenntnis der einzige Garant für das Überleben der Gruppe. Jedoch wird der Abenteurer in den Wäldern von einer Grizzlybärin attackiert, die ihm schwerste, fast todbringende Verletzungen zufügt.
Totgeglaubte leben länger
Nach einigen provisorischen Behandlungen, versuchen die Männer Glass mit sich zunehmen, jedoch kommen sie durch die bergige Landschaft bald an ihre Grenzen. Auf Befehl des Captain wird Glass in den Wäldern zurückgelassen. Bis zu seinem Ableben sollen jedoch neben seinem Sohn auch die beiden Jagdbegleiter John Fitzgerald (Tom Hardy) und Jim Bridger (Will Poulter) bei ihm verweilen.
Doch Glass ist zäh und will nicht sterben, was Fitzgerald ein Dorn im Auge ist. Um sich so bald wie möglich auf den Weg zum Camp machen zu können, versucht er Glass umbringen. Dabei wird er jedoch von Hawk überrascht, den er vor den Augen seines handlungsunfähigen Vaters umbringt. Durch eine Intrige gelingt es Fitzgerald Bridger davon zu überzeugen entgegen ihres Versprechens Glass halb begraben und waffenlos zurückzulassen.
Doch in Glass geschundenen Körper erwachen alle Lebensgeister. Getrieben von der Liebe zu seiner toten Familie, kämpft sich er zurück ins Leben. Hunderte von Meilen legt der Todgeglaubte seinen Weg in die Zivilisation teils kriechend teils treibend oder am Stock zurück. Dabei hat er nur eines im Sinn, ein Ziel: seinen Rachedurst und die Mordlust zu stillen und den Verräter Fitzgerald ausfindig zu machen – Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Rache um jeden Preis
Es ist ein wilder, unbarmherziger Ritt, auf den uns Regisseur Alejandro González Iñárritu (BABEL, BIUTIFUL, BIRDMAN) mit THE REVENANT schickt. Mit seinen 2,5 Stunden Laufzeit benötigt man obendrein definitiv eine gehörige Portion an Sitzfleisch. Jedoch wird der Zuschauer mit der großartigen Arbeit von Kameramann von Emmanuel Lubezki (GRAVITY, BIRDMAN) belohnt. Könnte ihm als erster Kameramann das Oscar-Triple gelingen?
Iñárritu soll auf Aufnahmen bei Tageslicht bestanden haben, doch die Bilder haben dabei nichts von ihrer Schönheit eingebüßt – im Gegenteil. Die graublaue Kälte der Dämmerung durchzieht jede Aufnahme und schafft trotz der weitläufigen Natur eine eigenartige Intimität. Dabei wechseln die Perspektiven nur zu gerne zwischen Landschaftspanorama und extremer Nahaufnahme, bei der die Linse entweder blutbespritzt oder durch den Atem des Protagonisten beschlagen ist. Sein physisches Leiden wird damit greifbar, beinahe spürbar. Neben der herausragenden Bären-Szene, hinterlassen auch die von unheilvoll-dröhnenden Trommelschlägen getriebenen, präzise durchchoreografierten Kampfszenen einen nachhaltigen Eindruck.
Bisweilen stoßen jedoch die Fieberträume und Visionen von Glass verstorbener Ehefrau bitter auf. Viel zu häufig, viel zu spirituell anmaßend durchdringt immer wieder ein indianischer, Metaphern durchfluteter Singsang die Stille der Isolation. Und auch sonst krankt THE REVENANT trotz technischer Rafinesse an seiner Story, die zuweilen ermüdet und ein hohes Maß an Spannung einbüßt.
Dum spiro spero
Natürlich ist ein Revenge-Film vom Plot generell in seiner Ausführlichkeit eher begrenzt, jedoch schafft es THE REVENANT nicht ganz näher auf die Vater-Sohn-Beziehung einzugehen oder generell eine schwerwiegendere emotionale Ebene zu schaffen. Zwar bemüht sich der Film um Objektivität und geht auch auf das tragische Schicksal der Ureinwohner unter der Kolonialmächten ein – dennoch verkommen Genozide, Vergewaltigungen und sonstige Gräueltaten eher zur Randnotiz.
Und doch gibt es Szenen, die sich wie das Brandeisen eines Cowboys ins Gedächtnis prägen. So schlüpft Glass in den von ihm zuvor ausgeweideten Kadaver seines Pferdes, um sich vor der Kälte zu schützen und geht somit in eine so nie dagewesene Symbiose mit der Natur ein. Besonders schön: als Glass mit einem Pawnee unter einem Strauch hockt, beginnt es zu schneien und die beiden Männer beginnen um die Wette Schneeflocken mit der Zunge zu fangen. Dabei sehen die beiden geschundenen Seelen wie friedliche, kleine Kinder aus.
Trotz seiner Längen, ist THE REVENANT ein cinematographisches Glanzstück geworden, für das Leonardo DiCaprio, ein Mann, der sich stets neu erfindet, ohne Zweifel den Oscar als bester Schauspieler verdient hätte. Doch auch Tom Hardy, der das vergangene Jahr mehr als präsent war, konnte bei der Verkörperung des durchtriebenen Antagonisten Fitzgerald brillieren. Gerade weil man sich THE REVENANT vielleicht kein zweites Mal anschauen kann, sollte man sich diesen Film wahrlich nicht auf der großen Leinwand entgehen lassen!
8,5 / 10
Titel: | The Revenant |
Produktionsjahr: | 2015 |
Altersfreigabe: | FSK 16 |
Regie: | Alejandro González Iñárritu |
Cast: | Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter |
Produktionsland: | USA |
Länge: | 151 Minuten |
Kinostart: | 06. Januar 2016 |
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Trailer:
Beitragsbild: © 20th Century Fox
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"Totgeglaubte leben länger" – Tolle Überschrift. Warum ist mir die nicht eingefallen? Naja, verwende ich beim nächsten Liam Neeson-Film. 😉
Leo sollte auf jeden Fall den Oscar bekommen. Ich hab zwar nur drei der fünf Nominieren für einen Golden Globe gesehen, aber Redmayne und Fassbender sind bei weitem nicht so gut wie Leo. Du hast es schön formuliert: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Die Rückblenden auf Frau und Sohn fand ich auch etwas too much. Die einfache Rachegeschichte hätte schon gereicht.
Hier meine Review: https://filmkompass.wordpress.com/2016/01/07/the-revenant-2015/
Danke 🙂 Hätte es auch gerne hier als Überschrift genommen – jedoch habe ich im Nachhinein gesehen, dass der ROLLING STONE seine Kritik ebenso betitelt hat.
Ich würde es Leo sehr gönnen, wobei es mich interessieren würde zu sehen, wie weit er noch gehen könnte … 😉