The Killing of a Sacred Deer (2017)
„Ethische Operation im Kinosaal“
Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos ist bekannt für seine oftmals metaphorischen und gesellschaftskritischen Filme. Diese waren zumeist nur bedingt für die Augen des Mainstream gedacht – doch als Lanthimos 2015 mit THE LOBSTER seinen ersten englischsprachigen Film mit Filmstars wie Colin Farrell und Rachel Weisz abdrehte, wurde ihm eine höhere Aufmerksamkeit zuteil. So nun auch bei seinem neuen Film THE KILLING OF A SACRED DEER, der ebenfalls wieder mit einer hochkarätigen Besetzung den Arthouse-Spirit in ungewohnte Gefilde tragen könnte.
Steven Murphy (Colin Farrell) ist ein angesehener Herzchirurg und lebt mit seiner Ehefrau Anna (Nicole Kidman), einer Augenärztin, und ihren Kindern Bob (Sunny Suljic) und Kim (Raffey Cassidy) ein scheinbar unbeschwertes Leben im Wohlstand. Dieses steht in einem Kontrast zum Leben des 16-jährigen, vaterlosen Teenager Martin (Barry Keoghan), zu dem Steven scheinbar eine Freundschaft aufgebaut hat. Doch Martin helbt schon bald das Leben der Murphys aus den Angeln, denn der psychisch kranke Junge hat noch eine offene Rechnung mit Steven und sinnt auf diabolische Rache.
Filmisch keimfrei
Schwere, wehmütige Streicher leiten den neusten Streich des Regie-Moralapostels Yorgos Lanthimos ein. Am Anfang war da nichts, ein unheilvolles Schwarz untermalt mit den eben beschriebenen nahezu unheilvollen Klängen. Dann – eine Operationsszene – offenbar am offenen Herzen, denn der Protagonist ist Kardiologe. Ein unangenehmer Anblick. Nach getaner Arbeit streift er seine Operationskluft ab – die Plastikhandschuhe voller Blut – welche dann im Mülleimer landen. Wüsste man nicht um die Szenerie könnte man auch meinen, dass man einem Mörder nach der Tat zusieht.
THE KILLING OF A SACRED DEER besticht durch eine unbehagliche Sterilität. Nicht nur die filmische Oberfläche oder das Setting der Handlung, nein – auch die Protagonisten befinden sich in einem morphinen Zustand. Ein Umstand, der manche Dialoge ad absurdum führt. Die Grenzen zu Gesellschaftlichen Konventionen verschwimmen: so ist es ganz natürlich über die Periode der eigenen Tochter zu sprechen als auch jemanden zu fragen wie viel Achselbehaarung er denn vorzuweisen hätte. Was passt da besser hinein als ein Ärzte Paar mit seinen desinfizierten, keimfreien und doch schönen Händen, die sich von Hause aus möglichst von Patienten und ihrer Arbeit emotional distanzieren müssen.
Neben dem üblichen konventionellen Small Talk, werden da beispielsweise Worte über Nichtigkeiten wie Armbanduhren verloren – bis zu wie vielen Metern ist das Modell wasserdicht? Welches Material ist das Beste für das Uhrenarmband? Eine Szenerie, die stark an einen materiellen „Schwanzvergleich“ erinnert. Jedoch spielen Uhren auch im weiteren Verlauf des Films eine wichtige Rolle: Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis das Familien Idyll von einer unheilvollen Wolke überschattet wird und die Kinder eines nach dem anderen Symptome einer eigenartigen Krankheit aufweisen …
Auge um Auge Zahn um Zahn
Es ist schwer viel mehr Worte über die Handlung von THE KILLING OF A SACRED DEER zu verlieren um die Überraschungsmomente und mystischen Finessen des Filmes nicht vorweg zu nehmen.
Jedoch lässt sich so viel sagen: Es handelt sich um eine durch griechische Sagen und Motive beflügelte Rachegeschichte (mehr dazu im BACKGROUND weiter unten). Dabei ist es von elementarer Bedeutung, die Handlung völlig losgelöst von der Realität zu betrachten und sich auf den symbolischen rätselhaften Duktus von Lanthimos einzulassen. Den Zuschauer erwartet zudem ein offenes Ende, welches den einen oder anderen eventuell unbefriedigt zurücklassen wird.
Dabei ist es jedoch nicht wichtig zu wissen wo die Krankheit der Kinder herrührt, auch wenn Ärzte darauf fixiert sind Ursache und Wirkung zu kennen. So gibt es auch in der von Wissenschaft geprägten Medizin gibt es immer wieder Unerklärliches – und manchmal, ja da gibt es sogar Wunder. Aber ebenso oft nun mal leider keine. Doch all dies bietet lediglich den Rahmen für etwas Größeres, für moralische Fragen, die sich ein jeder von uns schon einmal gestellt hat: Muss ich Reue für meine Taten zeigen? Und welchen Preis muss ich für frühere Fehler zahlen?
THE KILLING OF A SACRED DEER kann seinem Vorgänger THE LOBSTER nicht ganz das Wasser reichen – dennoch ist der Film ein erneuter Arthouse-Leckerbissen und besticht durch seine unbehagliche Atmosphäre. Für Fans von Lanthimos ein erneutes Must-See – für alle andere ein anspruchsvolles, intellektuelles Werk mit deutlicher Nachwirkung, das auch nach der Sichtung zur Recherche und Deutung einlädt.
8 / 10
BACKGROUND
Der Titel „The Killing of a Sacred Deer“ spielt auf eine Geschichte innerhalb der griechischen Mythologie an. Agamemnon, Herrscher von Mykene und der Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg beging einst den Frevel und erlegte einen Hirsch im heiligen Hain der Artemis, Göttin der Jagd und des Waldes. In seinem Leichtsinn rühmte er sich obendrein damit der bessere Jäger zu sein.
Als dann der Trojanische Krieg ausbrach verhinderte die Artemis durch eine Windstille die Weiterfahrt der griechischen Flotte, die unter dem Befehl von Agamemnon stand. Um die Fahrt fortsetzen zu können forderte Artemis von Agamemnon, dass dieser seine älteste Tochter, die Iphigenie, opfern müsse – und er tat wie ihm geheißen wurde.
Diese Thematik spiegelt sich auch im Plot des Filmes wieder und es lässt sich innerhalb einer Szene auch einen direkten Querverweis wiederfinden (Kims sehr guter Aufsatz in der Schule über die Iphigenie).
Titel: | The Killing of a Sacred Deer |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | FSK 16 |
Regie: | Yorgos Lanthimos |
Cast: | Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Raffey Cassidy, Sunny Suljic, Alicia Silverstone, Bill Camp |
Produktionsland: | Großbritannien, Irland |
Länge: | 121 Minuten |
Kinostart: | 28. Dezember 2017 |