Playground (2016)
„Kains Kinder“
Es hagelte Bestürzung, Entsetzen, aber auch Empfehlungen (unter anderem von meinen geschätzten Kollegen von DuoScope und arthouse-cinema). Eigentlich habe ich mich dieses Jahr auf nur fünf Filme beim Fantasy Filmfest reduzieren wollen, doch nachdem ich SUPER DARK TIMES irgendwie noch dazwischen quetschen konnte, wollte ich mir PLAYGROUND dann doch nicht entgehen lassen…
Es scheint zunächst ein ganz normaler Tag zu werden. Wobei – nicht ganz, denn für die Schüler ist es der letzte Schultag bevor es auf die weiterführende Schule geht und sie sich vielleicht nie wieder sehen werden. Da ist zum einen die kräftige Gabrysia, die sich sorgfältig herausputzt und sogar Mamas Lippenstift ausprobiert, denn das Mädchen hat Großes vor: Sie möchte ihrem gut aussehenden Klassenkameraden Szymek endlich gestehen, dass sie schon länger in ihn verliebt ist. Damit auch alles klappt holt sich Gabrysia sogar noch einige Tipps von einer Freundin. Da kann es zudem nicht schaden, dass diese Freundin einige kompromittierende Bilder von Szymek besitzt, damit dieser auch ganz sicher zum Treffen in einer Ruine erscheint.
Szymek macht sich ebenfalls fertig für seinen letzten Schultag, da weiß er noch nichts von Gabrysias Vorhaben. Bevor er aufbricht, kümmert sich der Junge jedoch zunächst um seinen kranken Vater, der im Rollstuhl sitzt. Und dann ist da noch Szymeks Kumpel Czarek, der die ganze Zeit mit einem Klumpen Ton herumspielt, sich sein Zimmer mit seinem schreienden, kleinen Bruder im Babyalter ein Zimmer teilen muss und in eher zerrütteten Familienverhältnissen zu leben scheint.
Doch dann setzt sich gen Nachmittag langsam, aber sicher eine grausame Kette an Ereignissen in Bewegung …
Zwischen Zärtlichkeit und Brutalität
PLAYGROUND gliedert sich in seiner ohnehin kurzen Laufzeit von 81 Minuten in 6 Kapitel, die sich wie folgt aufschlüsseln: I. Gabrysia, II. Szymek, III. Czarek, IV. Schule, V. Ruinen, VI. Playground. Aus dieser Gliederung wird klar ersichtlich, dass sich der Film zunächst jedem der drei näher portraitierten Kindern widmet, bis später auf einzelne Örtlichkeiten in denen diese situativ agieren dargestellt werden.
Bereits das Plakat wirkt unheilvoll und wenig verlockend: Eine mit einer Nadel durchstoßene Fliege mit ausgerissenem Beinchen. Man könnte dieses bereits als Warnung auffassen, denn filmisch und gestaltungstechnisch macht PLAYGROUND eigentlich einiges her. Regisseur Bartosz M. Kowalski, der sonst Dokumentationen verantwortete, verwendet in seinem Spielfilmdebüt leicht wackelige Handkameras, die zunächst nah am Geschehen platziert sind. Je näher der Film auf die Katastrophe zusteuert, desto distanzierter bewegt sich die Kamera selbst. Somit ergibt sich ein interessantes Spiel mit Distanz und Nähe in einem beinahe dokumentarischen Stil.
Ein Film den Polen nicht will – aber braucht
Radikal die Haare abrasieren, einen Hund mit Fleisch ärgern, mit einem Brennglas Insekten verbrennen, kochend heißes Wasser so lange im Mund behalten, bis der Schmerz unerträglich wird, ein verwundbares Mädchen mobben oder auf den schwer kranken, wehrlosen Vater einprügeln.
Diese Spirale der Aggression (oder doch Langeweile?) führt in PLAYGROUND immer weiter hinab und findet seinen Höhepunkt in einer schier unerträglichen Situation, die an einen wahren Fall angelehnt ist (vgl. James Bulger). In PLAYGROUND spielt der Regisseur mit dem Bild und der gesellschaftlichen Sichtweise auf Kinder. Bereits hier lässt sich eine gewisse Ambivalenz erkennen: Allgemein sind Phrasen wie „Kindermund tut Wahrheit kund“ bekannt, oder dass Kinder keiner Fliege was zu leide tun können – kleine Engelchen sind, die es zu schützen gilt. Doch es ist ebenso bekannt, dass Kinder grausam sein können und mitunter einen „Götterkomplex“ haben. So ist es keine Seltenheit, dass Kinder Tierquälerei betreiben.
Diese zwei Seiten der Medaille beleuchtet Bartosz M. Kowalski in PLAYGROUND und zeichnet neben einigen liebevollen Momente der Protagonisten ebenso sich steigernde Grausamkeiten. Viele davon lassen den Zuschauer übermannt und ratlos zurück. Es gibt auch keine Erklärung für gewisse Taten. Das mag zunächst unbefriedigend erscheinen, jedoch ist es nur ganz natürlich. Besonders Kinder haben oftmals keine bewussten Gründe für ihre Taten und können daher schwer selbst Reue empfinden. Meistens obliegt dieser Prozess dem Einfluss von außen (z. B. durch die Eltern, die dem Kind deutlich machen, dass sein Handeln schlecht war). An dieser Stelle komme ich mir beinahe wie ein Hobby-Psychologe vor.
Trotz aller Härte und Unerträglichkeit der Bilder, hätte ich mir den Film länger gewünscht – ein Umstand, den ich nur selten bemängele, da die Filme heutzutage oftmals eher zu lang geraten.
Man kann sich darüber streiten, ob PLAYGROUND eine Thematik bebildert und eine Bühne für etwas liefert, das vielleicht unverantwortlich ist. Es ist jedoch unbestreitbar, dass PLAYGROUND ein Schlag in die Magengrube ist, der wohl kaum jemanden kalt lassen wird. Auf diesem PLAYGROUND möchte man den Kindern nämlich nicht beim Spielen zu sehen.
7,5 / 10
Titel: | Playground (Plac Zabaw) |
Produktionsjahr: | 2016 |
Altersfreigabe: | keine Angabe |
Regie: | Bartosz M. Kowalski |
Cast: | Michalina Świstuń, Nicolas Przygoda, Przemysław Baliński, Patryk Świderski, Paweł Brandys, Anita Jancia-Prokopowicz, Paweł Karolak, Małgorzata Olczyk |
Produktionsland: | Polen |
Länge: | 81 Minuten |
Verfügbar auf: | – |
Trailer:
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