Lost River (2014)
„Versunkene Hoffnung“
Bei der Premiere in Cannes mit Buhrufen abgestraft, von den Kritikern zerrissen. Mit LOST RIVER wagt Ryan Gosling den Schritt aus der Schauspielerei und debütiert nicht nur als Regisseur sondern auch als Drehbuchautor. Stilistisch ist der Film dabei sichtlich durch Regisseure inspiriert, die seine eigene Schauspielkarriere maßgeblich prägten. Hat Gosling vielleicht zu viel gewagt und nichts gewonnen, sodass man ihm raten sollte: „Schuster bleib bei deinen Leisten“?
Die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks) lebt mit ihren Söhnen Bones (Ian De Caestecker) und Franky in Lost River. Hier ist sie aufgewachsen – es ist ihr Zuhause und das ihrer Kinder. Daran ändert auch die Finanzkrise nichts, die zahlreiche Bewohner dazu veranlasst hat diesem Ort den Rücken zu kehren. Doch ihre Zukunft in Lost River ist ungewiss, da Billy die Hypothek auf ihr Haus nicht mehr tilgen kann. Der schmierige Bankmanager Dave (Ben Mendelsohn) bietet ihr jedoch einen Ausweg: er steckt Billy eine Visitenkarte zu. Darauf eine Adresse.
Ein Job für schnelles Geld, sagt Dave. Dabei handelt es sich um einen zwielichtigen Nachtclub, auf dessen Bühne sich junge Frauen scheinbar blutigen Selbstverstümmelung unter tosendem Applaus präsentieren. In dieser Groteske trifft Billy auf die geheimnisvolle Cat (Eva Mendes), eine der dortigen Varieté-Künstlerinnen. Doch für die noch lukrativeren „Privatvorstellungen“ im neon-lila gefluteten Kellergewölbe will sich Billy nicht hergeben. Der älteste Sohn Bones versucht seine Mutter so gut wie möglich finanziell zu unterstützen. Mit einer Sporttasche über der Schulter macht er sich in den Wänden der Industrieruinen auf die Suche nach wertvollem Kupfer.
Doch das Gebiet wird von einer gewalttätigen Gang unter der Leitung des Psychopaten Bully (Matt Smith) kontrolliert. Als dieser von Bones Raubstreifzügen Wind bekommt, eröffnet er die Hetzjagd auf den Jungen. Auf der Flucht vor der wütenden Meute entdeckt Bones in einem zugewucherten Teil der Stadt, eine Straße, die ins Wasser führt.
Zuflucht sucht er bei seiner Nachbarin (Saoirse Ronan), die aufgrund ihrer Haustierwahl von allen nur Rat genannt wird. Von ihr erfährt Bones auch von einem mysteriösen Fluch, der über das Schicksal der Stadt entscheiden soll. Doch nur wer sich in die Tiefen des Stausees stürzt und ein Ungeheuer birgt, kann ihn brechen…
Vom zerschlagenen American Dream
Ryan Gosling skizziert durch identifizierbare, aber auch austauschbare Archetypen einen surrealen Blick auf reale Probleme des „kleinen Mannes“ – in diesem Falle die Finanzkrise, die den hipsterigen Detroitverschnitt Lost River zum Verfall verdammt hat. Dabei erinnerte mich das Setting stark an eine überflutete Version des stillgelegten Berliner Spreeparks im Plänterwald.
Irgendwo zwischen Sehnsüchten und Sozialkritiken spiegelt sich vor allem Gosling selbst in der Thematik wieder: er selbst ist Sohn einer alleinerziehenden Mutter und nahm Männer als wolfsgleiche Bedrohung für eben diese weibliche Bezugsperson wahr. Stark durch eben diesen therapeutischen Ansatz, tendiert LOST RIVER zur selbstverliebten Extravaganz und hat bisweilen hier und da einige spannungstechnische Durchhänger.
Dennoch entwickelt sich nicht zuletzt durch die satten, kontrastreichen Aufnahmen und den noch lange nachklingenden Soundtrack eine beinahe meditative Sogwirkung. Durch den doch eher dünnen Plot sowie die sprunghafte Inszenierung verlangt Gosling dem Zuschauer über die 95 Minuten Laufzeit ein hohes Maß an Konzentration ab. Das schien der Preis für die bestechende Bildgestaltung zu sein.
Eine stilistische Blaupause?
Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Goslings Erstlingswerk sowohl optisch als auch inhaltlich den starken Einflüssen von Regisseuren wie Refn, Cianfrance und Lynch unterliegt. Anders als böse Zungen behaupten, sehe ich LOST RIVER jedoch nicht als eine verwässerte Collage oder Kopie des Handwerks großer Namen, sondern viel mehr als eine Hommage an eben diese und eine Widerspiegelung der stilistischen Selbstfindung Goslings.
Mal futuristisch und beklemmend durch das vakuumisierte Arrangement im Souterrain des Nachtclubs – mal verträumt wie das Klimpern auf einem Keyboard oder fantastisch wie ein längst vergessenes Atlantis in dem Nessie samt Familie haust: LOST RIVER wirkt wie ein neonfarbener mit Hoffnung gefluteter Tunnel ohne sichtbares Licht am Ende.
Dabei steht eines fest: LOST RIVER polarisiert. Doch egal wie sehr einem ein Film nicht zu gesagt hat, so ist es ein Akt der Respektlosigkeit sondergleichen, das soeben gesehene Werk in Anwesenheit des Produktionsteams auszubuhen. So geschehen bei der Premiere in Cannes. Dabei gehört dieses Verhalten allem Anschein nach jedoch zur dortigen Etikette. In meinen Augen ein Graus.
Resümierend ist LOST RIVER ein bildgewaltiger Neo-Noir-Film irgendwo zwischen Coming-of-Age, Horrorfilm und finstere Fabel mit vielen autobiographischen Referenzen geworden – ein postindustrielles Albtraum-Märchen für cinephile Erwachsene.
Bei weitem nicht für die breite Masse gemacht, muss sich Gosling künftig stärker von seinen visuellen Mentoren lösen und zu seinem eigenen Schaffungsstil finden. Fraglich ist jedoch, ob er sich nach den teils vernichtenden Kritiken nicht hat entmutigen lassen. Ich für meinen Teil wurde in den magischen Bann LOST RIVERS gezogen und würde mich durchaus über weitere Werke aus der Hand Goslings freuen.
8 / 10
Titel: | Lost River (How To Catch A Monster) |
Produktionsjahr: | 2014 |
Altersfreigabe: | FSK 16 |
Regie: | Ryan Gosling |
Cast: | Christina Hendricks, Ian De Caestecker, Saorise Ronan, Matt Smith, Ben Mendelsohn, Eva Mendes |
Produktionsland: | USA |
Länge: | 95 Minuten |
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Trailer:
Beitragsbild: © Tiberius Film
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