Blade Runner 2049 (2017)
„Wovon träumen Replikanten?“
– Von einem Namen. Einer Identität. „Mensch sein“. Kurzum: einem Wunder.
35 Jahre nach dem visionären BLADE RUNNER bannt Regievirtuose Denis Villeneuve eine Fortsetzung auf die Leinwände der Welt. In den Augen vieler Fans des Vorgängers war dies eine scheinbar unlösbare Aufgabe – doch Villeneuve meistert sie mit Bravour – wenn auch nicht gänzlich frei von kritischen Einwürfen.
Im Jahr 2023 wird die Herstellung von Replikanten – künstlich gezüchteten Menschen – nach einigen schwerwiegenden Vorfällen verboten. Als Niander Wallace (Jared Leto), ein brillanter Industrieller, später ein neues, verbessertes Replikanten-Modell vorstellt, wird die Produktion 2036 jedoch wieder erlaubt. Um ältere und somit nicht zugelassene Modelle, die sich auf der Erde verstecken, aufzuspüren und zu eliminieren, ist auch weiterhin die sogenannte „Blade Runner“-Einheit des LAPD im Einsatz, zu der auch K (Ryan Gosling) gehört. Dieser stößt dabei auf ein düsteres, gut gehütetes, das ihn auf die Spur eines ehemaligen Blade Runners bringt: Rick Deckard (Harrison Ford), der vor 30 Jahren aus Los Angeles verschwand…
Ich denke, also bin ich?
KD6-3.7. So die eigentliche Bezeichnung bzw. Seriennummer von Officer K. Dieser geht wie einst Rick Deckard der Funktion des „Blade Runners“ beim LAPD nach. Anders als bei seinem Vorgänger stellt sich bei ihm jedoch nicht die Frage ob dieser ein Mensch oder Replikant sein könnte. Der stoische und beinahe somnambule K gehört einer neuen und vor allem domestizierten Reihe von Replikanten an, die zu den Unprivilegierten zählen und im Moloch der Erde zurück geblieben sind. Doch K träumt vom „Mensch sein“ – seiner Freiwerdung. Wie jeder möchte auch er etwas besonderes sein, ein Auserwählter für ein höheres, großes Ganzes darstellen.
Villeneuve führt mit Ks Hausfrauen-Hologramm Joi (Ana de Armas) nicht nur die Gedanken von BLADE RUNNER sondern auch die zur digitalen Liebe von Spike Jonzes Film HER weiter. Denn auch Replikanten haben Bedürfnisse und Sehnsüchte, die es gilt zu befriedigen. So bilden die Hologramme eine neue unterste Stufe der Evolution bzw. der Gesellschaft. Wirklich starke Frauen finden in BLADE RUNNER 2049 leider eher nicht statt – diese sind zumeist Objekte sexueller Begierde (sowohl digitaler als auch fleischlicher Gelüste), hörige Dienerinnen, toughe Machthaberinnen, schwierige oder rebellische Figuren. Eine Dystopie für uns Frauen?
Every Frame a Poster
Gleich zu Anfang möchte ich die Bombe platzen lassen – BLADE RUNNER 2049 ist in meinen Augen seinem Vorgänger mindestens ebenbürtig. Nun mögen viele vor Empörung laut aufschreien – und das ist okay. Mit BLADE RUNNER 2049 hat Denis Villeneuve eine große Hommage an den Vorgänger geschaffen, die sich von vielen ikonischen Kameraeinstellungen, über den noch futuristischeren Cyperpunk-Look, über die soundgewaltige Anlehnung Hans Zimmers und Benjamin Wallfischs an den Synthi-Klassiker von Vangelis erstreckt und sich somit nahtlos in BLADE RUNNER einfügt.
Schade ist hier, dass beispielsweise die Cityspeak von Villeneuve nicht noch weiter ausgebaut bzw. ihre Vielfältigkeit bezüglich der mannigfaltigen linguistischen Einflüsse aufgezeigt wurde. Ein weiterer netter Querverweis wäre statt des Pferde-Totems die Figur eines Einhorns gewesen.
Dennoch bewahrt BLADE RUNNER 2049 die Qualitäten des Originals und transportiert diese in das Hier und Jetzt – doch weist auch das Sequel dieselben Schwächen wie sein großer Bruder auf:
Die Geschichte ist ziemlich dünn und dazu noch recht erahnbar. Zudem ist der Plot nicht immer ganz lückenfrei. Darüber hinaus mangelt es auch hier wieder an einem wahrhaftigen Antagonisten, denn Jared Leto als Niander Wallace spielt hier eine eher untergeordnete Rolle – seine Exekutive und rechte Hand Luv (Sylvia Hoeks) ist hier eher präsent. Auch der einstige Roy Batty war kein sonderlich prägnanter Antagonist – jedoch hatte dieser philosophischen Tiefgang. Auch BLADE RUNNER 2049 weist einen hoch philosophischen und sehr aktuellen Kern nach der Identität des Menschen auf mit der zentralen Frage: Was macht uns menschlich?
Die Beständigkeit der Erinnerung
Ich gehörte nie zu den BLADE RUNNER Hardlinern. Das Original von Ridley Scott, das auf dem 1968 erschienen Romans Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick beruht, hat von mir keine 10 Punkte erhalten – dennoch habe ich stehts das Kultpotenzial in diesem Film gesehen und kann honorieren, dass dieser durchaus einige filmische Maßstäbe gesetzt hat. Die Rolle eines visionären „Game Changers“ wird BLADE RUNNER 2049 jedoch wohl nicht einnehmen.
BLADE RUNNER 2049 teilt wie bereits erwähnt vieles mit seinem Vorgänger – wahrscheinlich auch sein unheilvolles Schicksal – denn beide Filme floppten an den Kinokassen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Telegraph trug jedoch sechs Gründe zusammen, weshalb es mit dem neuen Teil wohl abermals nicht klappen sollte:
1. Der Film ist mit seinen 163 Minuten recht lang. Zu lang und zumeist auch zu langatmig für viele Zuschauer. 2. Es ist schon eine Weile her, dass der erste Blade Runner Film in die Kinos kam. Weshalb vornehmlich Zuschauer über 35 in den Film strömten. 3. Das Sequel bietet nicht den gleichen Wert für Zuschauer, die das Original nicht kennen. 4. Ein ungünstiger Starttermin, denn ES kam kurz zuvor in die Kinos und entwickelte sich (unverständlicherweise) zu einem Kassenschlager und nahm dem Film den Wind aus den Segeln. 5. Harrison Fords große Zeiten als Hauptdarsteller (Star Wars, Indiana Jones) liegen schon etwas zurück lockt vor allem nur bedingt jüngere Zuschauer in die Kinos. 6. Wenige und vor allem nicht wirklich starke Frauenrollen – zudem suggeriert der Film durch die beiden männlichen Hauptdarsteller und das Setting eher Maskulinität, weshalb Frauen sich hier nur bedingt angesprochen fühlen könnten.
Nichtsdestotrotz erhoffe ich mir viele Oscar-Nominierungen für BLADE RUNNER 2049. Der Film ist in meinen Augen in jedem Falle ein heißer Anwärter auf einen Oscar in den Kategorien Beste visuelle Effekte und Beste Kamera. Denn die Bilder von Kamera-Gott Roger Deakins, der bislang ganze 13 erfolglose Nominierungen verkraften musste, sind wahrhaftig nicht von dieser Welt.
Daher die dringliche Bitte: Lasst euch nicht von diesen Punkten vereinnahmen und schaut euch diesen Film an! Auf großer Leinwand – so lange ihr noch könnt. Ich selbst habe BLADE RUNNER 2049 gleich zwei Mal im IMAX (OV, 3D) gesehen – das will was heißen! Somit kommt es zum garantierten Einzug in meine Jahres Top 10 und zur wohlverdienten Bewertung von:
8,5 / 10
Wer noch tiefer in das Blade Runner Universum eintauchen möchte, dem möchte ich natürlich neben der erneuten Sichtung des Vorgängers ebenfalls die drei Kurzfilme empfehlen, die Denis Villeneuve in Auftrag gegeben hat und die die Zeit zwischen 2019 und 2049 umreißen (alle Kurzfilme bequem chronologisch hintereinander geschnitten oder einzeln ansehbar):
Blade Runner 2049: The Years Between
(Black Out 2022 – 2036: Nexus Dawn – 2048: Nowhere to Run)
Titel: | Blade Runner 2049 |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | FSK 16 |
Regie: | Denis Villeneuve |
Cast: | Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Sylvia Hoeks, Robin Wright, Mackenzie Davis, Carla Juri, Lennie James, Dave Bautista, Jared Leto |
Produktionsland: | Großbritannien, USA, Kanada |
Länge: | 163 Minuten |
Kinostart: | 05. Oktober 2017 |
Trailer:
*Beitragsbild: © Sony Pictures Germany