Happy End (2017)
„Unerwartete Verbandelungen“
Ein Michael Haneke Film – mittlerweile nahezu schon ein Garant, ein Markenzeichen für wirklich gute Filme. Nun präsentiert uns der österreichische Regisseur mit HAPPY END seinen neusten Streich der wie beinahe üblich auch in Cannes an den Start ging. Ob HAPPY END zu einem erneuten Geniestreich à la DIE KLAVIERSPIELERIN oder DAS WEISSE BAND gehört verrate ich euch im Nachfolgenden.
In HAPPY END wird die großbürgerliche Familie Laurent porträtiert und die Mechanismen dieser in den Zeiten der Digitalisierung dargestellt. Familienoberhaupt George (Jean-Louis Trintignant) hat gerade einen Selbstmordversuch hinter sich und sitzt im Rollstuhl. Seine Tochter Anne (Isabelle Huppert) ist mit dem Anwalt Lawrence Bradshaw (Toby Jones) verlobt und leitet das familieneigene Bauunternehmen. Als sich auf eine der Baustellen ein Unglück ereignet, soll dies zum Anlass genommen werden, damit sich ihr Sohn Pierre (Franz Rogowski) mehr in die Rolle des künftigen Chefs hineinfindet. Dieser sieht seinen Platz jedoch nicht im Familienunternehmen. Georges Sohn Thomas (Mathieu Kassovitz) hingegen ist Arzt und frischgebackener Vater und mit seiner zweiten Frau Anaïs (Laura Verlinden) zusammen. Als seine erste Frau plötzlich im Krankenhaus liegt, stößt ihre gemeinsame Tochter Eve (Fantine Harduin) zum Familienclan und Thomas muss sich von nun an um das junge Mädchen kümmern.
Risse in der Fassade des Elfenbeinturms
Wie das Kinoplakat vermuten lässt, beginnt HAPPY END mit einer Reihe wackeliger Handyaufnahmen. So hält die 12-jährige Eve auch mit ihrer Handykamera drauf, als ihr Hamster langsam an denen von ihr ins Futter gemischten Antidepressiva verendet und beiläufig typische Monologe eines Scheidungskindes vor sich hin brabbelt. Alle müssen in ihrer ihnen zugedachten Stellung innerhalb der Familie funktionieren. Doch die Fassade bröckelt und die Figuren, die oft wie Gefangene wirken, brechen aus den Mustern aus. Trotz Mimik strahlen die Protagonisten jedoch meist nicht mehr als kalte Leere aus.
Haneke beleuchtet schon immer die Risse schöner Fassaden und taucht in menschliche Abgründe hinab. So erzählt auch HAPPY END wieder von der emotionalen Verrohung und zeigt Menschen, die sich gegenseitig nichts zu sagen haben und stattdessen lieber alles in sich reinfressen. So kann man die sexuellen Facebook-Chats zwischen dem verheirateten Thomas und einer Cellistin mitverfolgen oder wie der lebensmüde alte George seinen Frisör inständig bittet ihn zu töten.
Hanekes Filmen dienen zumeist nie der Unterhaltung. Der Filmemacher macht es dem Publikum auch nicht immer leicht und regt mit seinem Zynismus zum Mitdenken an. So fiel es bei HAPPY END zunächst auch etwas schwer sich in den Film hineinzufinden. Es wird hier viel Geduld vom Zuschauer abverlangt, da die Geschichte bzw. gewisse Informationen teilweise einer Suche nach Brotkrumen ähneln. Diese galt es zudem selbst zusammenzufügen, weshalb man stets „am Ball bleiben“ sollte.
Die Reichen kochen auch nur mit Wasser
Es sind wichtige, zeitlose Themen, die Haneke mit modernen Mitteln am Zeitgeist – wie durch den Einsatz von Social Media – in HAPPY END behandelt. Dass wir uns in Calais, also einer der großen Transitstationen des Flüchtlingsstroms befinden, bekommt man nur am Rande mit. Flüchtlinge werden lediglich als Brandbeschleuniger für eine unausweichliche Eskalation genutzt. Nichtsdestotrotz schwingt dieses weltpolitische Geschehen die ganze Zeit im Subkontext mit – sofern es nun einmal der großbürgerlich-beschränkte Blick zulässt.
Statt für die Flüchtlingsproblematik interessiert sich Haneke viel mehr für das Leben im Elfenbeinturm und der Verknüpfung mit der virtuellen Welt. Denn die Realität durch einen Bildschirm zu betrachten ermöglicht eine trügerische und doch scheinbar tröstliche Distanz. Sobald man jedoch das Grauen, das uns umgibt, gänzlich roh und hautnah erlebt, ist es schier unerträglich.
Spiel mit filmographischen Eigenverweisen
Der Cast ist wie immer sehr gut besetzt – lediglich Franz Rogowski lässt sich irgendwie so gar nicht in das Ensemble integrieren, wobei sein alkoholisierter Karaoke-Ausbruch mit Pseudo-Breakdance Einlage wirklich einmalig ist.
Darüber hinaus ist die Synchronisation und auch die Untertitel bei HAPPY END eine äußerst schwierige Angelegenheit – viel eher ein Kuddelmuddel möchte man sagen. Franz Rogowski hat am Set wohl eindeutig auf Deutsch agiert, während der Hauptteil des Casts auf Französisch gesprochen hat. Dadurch war eine Synchronisation Rogowskis für die deutsche Fassung nicht nötig, jedoch ist daher der Ton seiner Parts sehr schlecht, was gerade in Dialogen auffällt. Was sich mir nur bedingt erschlossen hat ist, dass der Englisch sprechende Toby Jones lediglich mit deutschen Untertiteln versehen wurde.
Noch um einiges schwieriger: Isabelle Huppert, die im Original wohl in den Dialogen mit Jones auf Englisch gesprochen hat, musste von der deutschen Synchro ebenfalls auf Englisch eingesprochen und mit Untertiteln versehen werden, um keinen Bruch in der Stimme zu erzeugen. Hierbei kann natürlich die Intention gewesen sein zu unterstreichen, dass es sich bei dem von Jones und Huppert verkörpertem Paar um eine Fernbeziehung handelt. Die Untertitel waren insbesondere in den Sequenzen der Social Media Einblendungen sehr schlecht, schwer leserlich und äußerst schnell eingeblendet.
Nichtsdestotrotz ist HAPPY END ein Muss für jeden Haneke Fan, die ihre helle Freude mit diesem Feuerwerk an Eigenreminiszenzen haben werden. Um diesen aufregenden Gedankenspielen nicht vorwegzugreifen, möchte ich auf eben diese auch gar nicht weiter eingehen. Schade ist jedoch, dass das Ende keinen eindeutigen Rahmen mit dem gewählten Kinoplakat bildet und der Film somit auch dem Titel gerechter geworden wäre. Doch all diese Anmerkungen werden sich spätestens im Kinosessel oder auf der heimischen Couch bei euch zusammenfügen.
7,5 / 10
Titel: | Happy End |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | FSK 12 |
Regie: | Michael Haneke |
Cast: | Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant, Mathieu Kassovitz, Fantine Harduin, Franz Rogowski, Laura Verlinden, Toby Jones |
Produktionsland: | Frankreich, Deutschland, Österreich |
Länge: | 110 Minuten |
Kinostart: | 12. Oktober 2017 |
Trailer:
Beitragsbild: © X-Verleih
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