Sing Street (2016)
„Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“
Der Song „Das Model“ von Kraftwerk ist zwar schon Ende der 70er erschienen, aber dennoch trifft eben diese Zeile auf den Schwarm des Protagonisten, Raphina, zu. Die Story von SING STREET lässt sich oberflächlich wie folgt beschreiben: Junge trifft Mädchen. Mädchen ist wenig beeindruckt. Junge gründet eine Band. Doch was steckt noch dahinter? Regisseur John Carney ist nach CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? mit einem neuen Musikfilm zurück, bei dem wohl niemand ruhig im Kinosessel bleiben kann.
1985. Dublin, Irland. Die herrschende Rezession und Arbeitslosigkeit bedeuten für die meisten Menschen eine Abwärtsspirale – wer kann, ergreift die Flucht nach London. In dieser Zeit wächst der 14-jährige Conor (Ferdia Walsh-Peelo) in zerrütteten Familienverhältnissen auf. Seine Eltern, die hauptsächlich geheiratet haben um im katholischen Irland miteinander Sex haben zu können, streiten sich Tag ein Tag aus. Zudem muss die Familie zunehmend den Gürtel enger schnallen.
Die Konsequenz: Conor muss von einer privaten auf eine öffentlich-katholische Schule in der Synge Street wechseln, wo er schnell als Außenseiter abgestempelt wird. Von dort an wird er nicht nur vom Schulleiter drangsaliert, weil er kein Geld für die vorgeschriebenen schwarzen Schuhe aufbringen kann und er ihn im Zuge dessen in Socken durch die Schule gehen lässt – auch auf dem Schulhof wird der Jugendliche mit körperlichen Auseinandersetzungen konfrontiert.
Ein Lichtblick in dieser Tristesse: die schöne und geheimnisvolle Raphina (Lucy Boynton), die als Model groß rauskommen möchte und deswegen keinen Zweck im Besuch einer Schule sieht, sondern viel lieber mondän mit einer Zigarette im Mundwinkel in einem Hausaufgang herumlungert. Tollkühn spricht Conor das ältere Mädchen an und fragt sie, ob sie nicht im Musikvideo seiner Band mitspielen möchte. Allerdings fordert Raphina zunächst eine Kostprobe seines Gesangtalents ein: „Aha – Take On Me“. Aber mehr als das allseits bekannte „Taaake ooon meee, taaake meee ooon“ bekommt er nicht über die Lippen. Doch er schafft es zu überzeugen und ergattert prompt ihre Telefonnummer.
Da gibt es nur ein kleines Problem: Connor hat gar keine Band und ein Instrument kann er auch nicht wirklich spielen. Noch nicht! Durch seine Schwärmerei angespornt, trommelt er eine Hand voll Außenseiter aus der Nachbarschaft zusammen um eine Band zu gründen und seine Traumfrau zu erobern.
Vom Rowdy zum Roadie
Zukunftsängste, Sehnsüchte, die große Liebe, geplatzte Träume und solche, die es noch zu träumen gilt – Regisseur John Carney entführt uns mit SING STREET in seine irische Heimat und seine dortige Jugend. Dabei waren die Iren schon immer gut darin das vergangene Leiden des Landes musikalisch zu verarbeiten – Carney nimmt nun auch eine unschuldig-anmutende, bildhafte Verarbeitung hinzu. Über dem Irland der 80er Jahre hing der Schleier von Fernweh – die Generation suchte das Weite. Ein Hoffnungssymbol, das auch im Film verwendet wird: die Fähre nach England. Doch nicht alle hatten die Möglichkeit dem Land zu entfliehen. Stattdessen suchten die Jugendlichen nach mehr oder weniger rebellischen Ausbruchswegen.
Für den jungen Conor, der sich später den cooleren Künstlernamen Cosmo zulegt, besteht dieser Ausbruch in der Popmusik, in die er sich flüchtet. Seine eher unfähigen und überforderten Eltern interessieren sich eher weniger für ihn oder seine zwei Geschwister.
Ein wenig Trost spendet ihm sein älterer Bruder Brendan (Jack Reynor), der seine eigenen Träume von einem Musikerleben längst aufgegeben hat, mit seinem eigenen Leben nichts anzufangen weiß und sich eher mit seiner Plattensammlung in seinem Zimmer einigelt. Doch eben dieser möchte nicht, dass es seinem kleinen Bruder genau wie ihm ergeht und so steht er ihm mit Rat und Tat zur Seite, als es um die Eroberungsversuche seines Schwarms geht. Dabei liegt sein Hauptaugenmerk auf der Schulung Conors Musikgeschmacks. Gerade diese Bruder-Beziehung in SING STREET wirkt durchaus glaubhaft. Besonders die Problematik des älteren Geschwisterkindes, das die Furchen für die Jüngeren gräbt und sich durch den Dschungel des Lebens mit einer Machete kämpft, wird dabei thematisiert. Dabei wird jedoch leider die Beziehung zur Schwester fast gänzlich außen vor gelassen.
Nichtsdestotrotz wird die Gesellschaftskritik, wie z. B. die am damals vorherrschenden Klerus, gut mit dem Plot verwoben und stimmt die nötigen ernsteren Töne des Films an, wobei der Film an seiner teils noch kindlichen Naivität und Leichtigkeit nichts einbüßt.
„Ich bin Futurist.“
Mit SING STREET ist Regisseur John Carney eine stimmige Ode ans Anderssein gelungen, die viele Zuschauer in ihre Jugend zurückversetzen wird. Die Entscheidung hauptsächlich mit international unbekannten Gesichtern zu arbeiten verleiht dem Film einen unverwechselbaren Charme und stärkt die Authentizität.
Es gilt jedoch zu betonen, dass der Film hauptsächlich durch den grandiosen Soundtrack getragen wird: ein Mix-Tape aus Evergreens der 80er und eigens für den Film produzierten Songs mit Ohrwurm-Garantie (ganz besonders „Drive It Like You Stole it“ und „The Riddle Of The Model“). Ohne diese treibenden Klänge, die wohl keinen still im Kinosessel verweilen lassen, ist die Handlung doch recht vorhersehbar und etwas platt.
Carney erfindet mit SING STREET das cineastische Rad nicht neu und bleibt seiner Linie treu, in der er wenig neue Töne anstimmt. Dennoch ist SING STREET ein gelungener Crowd-Pleaser mit ganz viel Herz, der von allem etwas hat: Romanze, Coming-of-Age Story, Musikfilm und Gesellschaftskritik – ein rundum sympathischer Film!
7,5 / 10
Titel: | Sing Street |
Produktionsjahr: | 2016 |
Altersfreigabe: | FSK 6 |
Regie: | John Carney |
Cast: | Ferdia Walsh-Peelo, Lucy Boynton, Jack Reynor, Maria Doyle Kennedy, Aiden Gillen, Mark McKenna |
Produktionsland: | Großbritannien, Irland, USA |
Länge: | 96 Minuten |
Kinostart: | 26. Mai 2016 |
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Trailer:
Beitragsbild: © Studiocanal
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