A Ghost Story (2017)
„Was bleibt“
Eine der Fragen, die die Menschheit seit jeher bewegt ist die Frage nach dem Sinn des Lebens und was eigentlich nach dem eigenen Ableben geschieht. Gibt es ein Paradies, landet die Seele in einem Limbus oder ist da einfach nichts? Was hinterlässt man eigentlich nach dem Tod und wie kommen die Liebsten mit dem Verlust zurecht? Mit diesen Fragestellung beschäftigt sich A24 neuster Geniestreich A GHOST STORY.
Der Musiker C (Casey Affleck) und seine Frau M (Rooney Mara) führen eine ganz normale, liebevolle Beziehung und leben zusammen am Rande der Stadt. Sie würde gerne aus dem kleinen Haus wegziehen, er sträubt sich gegen ihre Pläne und würde lieber bleiben. Doch dann kommt alles ganz anders, als C bei einem Autounfall ums Leben kommt. M versinkt in tiefer Trauer und merkt dabei nicht, dass ihr verstorbener Mann zu ihr als Geist zurückgekehrt ist. Er verbleibt im gemeinsamen Haus, um sie mit seiner Anwesenheit zu trösten und an ihrem Alltag teilzuhaben, doch stellt schnell fest, dass er in der Zwischenwelt feststeckt und nahezu machtlos ist. Unfähig, diesen Ort wieder zu verlassen, muss er zusehen, wie seine Frau ihr Leben ohne ihn weiterlebt und ihm immer mehr entgleitet. So gelingt es ihm nach Jahrzehnten sich von seiner eigenen Geschichte zu lösen und begibt sich auf eine kosmische Reise.
A24 – Das Prädikat besonders wertvoll
Es ist kein Geheimnis, dass ich ein riesen Fan der Produktionsfirma und des Verleihs A24 bin. So erwartete ich natürlich auch A GHOST STORY mit Hochspannung.
Doch dann das: A GHOST STORY gehörte für mich zu den Filmen, die ich erstmal gar nicht so sehr mochte. Die wirkliche „Botschaft“ blieb mir teilweise schleierhaft, zu viele Logiklöcher und Fragen taten sich bereits während der Sichtung auf. Hinzu kam das unglaublich langsame Erzähltempo, welches seinen Höhepunkt in der berüchtigten „Kuchen-Szene“ findet. Hier sieht man Rooney Mara ca. 7 Minuten in Echtzeit dabei zu, wie sie tränenüberströmt einen Kuchen verschlingt.
Erst als der Abspann über die Leinwand flimmerte, begann es in mir zu rattern. Und dieses Rattern wurde mit jedem Schritt, mit dem ich mich vom Kino entfernte, immer lauter und intensiver.
Ich begann zu reflektieren und den Film erneut vor meinem inneren Auge abzuspielen. Und so schlich sich der Film Tag für Tag ein Stück weiter in mein Herz und meine Seele – wie von Geisterhand. Spätestens da war mir klar, dass ich den Film noch ein weiteres Mal sehen musste, sobald er offiziell ins Kino kam. Gesagt – getan. Und der späte Funken blieb, auch nach dem zweiten Mal.
Unser Vermächtnis
Genau wie die Protagonisten M habe ich etwas hinterlassen wollen, als wir aus unserer Berliner Wohnung ausgezogen sind, in der ich groß geworden bin und die ich sehr liebte. Ich wollte, dass ein greifbarer, haptischer Teil von mir, meiner Existenz, an diesem Ort zurückbleibt. Und so nahm ich mir eine Schere und ritzte meinen Namen in die hölzerne Unterseite des Fensterbrettes meines Zimmers. Oder war es doch etwas anderes? Ich kann es gar nicht mehr so genau sagen. Doch so etwas passiert: Dinge, die einem einst viel bedeutet haben sind nicht vor dem Verfall, vor dem Vergessen selbst gefeit.
Zeuge der Zeit
Bereits zu Beginn von A GHOST STORY wird dem Zuschauer klar gemacht: Hier geht es nicht um ein Liebespaar das eine schreckliche Tragödie ereilt – nein, immer wieder mischen sich kosmische Bilder von fremden Galaxien in die Geschichte. Spätestens jetzt wird deutlich: Der Fokus liegt nicht auf M und C, sondern auf etwas Größerem – einem höheren Sinn.
Gleichzeitig werden immer wieder Close-Ups auf das Haus des Paares in den Lauf der Geschichte eingebunden und somit ein Link zwischen diesem Ort und dem Zuschauer geschaffen – beinahe so, als ob auch wir an dieses Haus gebunden sind wie später auch der Geist selbst.
Selten wurde ein Tod so unaufgeregt, so leise und unspektakulär inszeniert wie der von C. Keinerlei Erklärung des Unfallherganges – lediglich das was ist und das was bleibt: Ein toter Körper, dessen blutiger Kopf auf dem Lenkrad eines Autowracks ruht.
A GHOST STORY ist ein höchst melancholisches und persönliches Essay, das versucht sich mit Themenstellungen wie der Non-Linearität der Zeit, dem Tod, der Trauer, dem Leben danach und der Sinnhaftigkeit unserer eigenen Existenz auseinanderzusetzen. Welche Spuren hinterlassen wir, wenn wir den Pfad des Lebens verlassen, nachdem wir doch auf so vielen Wegen gewandert sind?
Die Suche nach Erlösung
Ein weißes Bettlaken mit zwei Augenlöchern ist wohl naivste und kindlichste Vorstellung eines Geistes. Besonders die tiefschwarzen Augen des von Casey Affleck verkörperten Geistes stechen dabei markant hervor: so sind die Augen doch das Tor zur Seele – hier gleichen sie leeren, alles verschlingenden, schwarzen Löchern. A GHOST STORY ist anders als der Titel vermuten lässt keineswegs eine herkömmliche Gruselgeschichte. Regisseur David Lowery verzichtet weitestgehend auf gängige Gespensterklichees und lässt nur hier und da mal Geschirr wie durch Geisterhand an der Wand zerschellen, Glühbirnen aufflackern oder lässt wie bei der Serie GHOST WHISPERER ein scheinbar Erlösung versprechendes „Licht“ erscheinen.
Und auch sonst ist A GHOST STORY einzigartig: der Film hat das Dia-ähnliche Academy-Format (1:1,33) – nahezu quadratisch mit abgerundeten Ecken. Untermalt wird der Dialog-arme Film mit der berührenden und mysteriösen Musik von Daniel Hart, die wahrlich unter die Haut geht und bei dessen Klängen man vor Traurigkeit beinahe zerfließen möchte.
A GHOST STORY sei allen Fans von Terrence Malick ans Herz gelegt, sowie all denjenigen, die kein Problem damit haben sich einen ca. 90-minütigen Film anzusehen, der sich jedoch eher nach 120 Minuten anfühlt. Letztendlich ist A GHOST STORY aber mehr als nur ein Film – er ist eine Erfahrung. Und manchmal, ja, da gibt es eben Löcher, die selbst der beste Kuchen der Welt nicht stopfen kann.
8 / 10
Titel: | A Ghost Story |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | FSK 12 |
Regie: | David Lowery |
Cast: | Casey Affleck, Rooney Mara, Will Oldham |
Produktionsland: | USA |
Länge: | 92 Minuten |
Kinostart: | 07. Dezember 2017 |
Trailer:
*Beitragsbild: © Universal