Sicilian Ghost Story (2017)
„Vergiss mein nicht“
… oder „non dimenticarmi“, wie es auf Italienisch heißen würde. SICILIAN GHOST STORY, war der diesjährige Eröffnungsfilm der Semaine de la critique beim Filmfestival in Cannes und das Centerpiece des Fantasy Filmfests. Ich versprach mir eine märchenhafte Coming-of-Age Story im Geistergewand – inwiefern meine Vorstellungen erfüllt wurden erfahrt ihr in meiner Review vom Fantasy Filmfest.
Ein sonniger Nachmittag im Süden Italiens. Ein erster unschuldiger Kuss, der selbst die kühnsten Träume der 13-jährigen Luna (Julia Jedlikowska) tausendfach übertrifft. Aber dann ist ihr Klassenkamerad und Schwarm Giuseppe (Gaetano Fernandez) plötzlich verschwunden und das junge Glück vorerst voneinander getrennt. Doch statt eine großangelegte Suchaktion zu starten, herrscht in der ganzen Stadt lediglich betretenes Schweigen. In der Schule heißt es Giuseppe sei eben etwas länger krank, aber Luna weiß es besser. Sie und Giuseppe verbindet nämlich ein unsichtbares Band, das Luna immer stärker zu ihrem Freund hinzieht …
Ärger im italienischen Idyll
Lange hat sie gezögert ihrem weißen Ritter Giuseppe ihre Gefühle zu gestehen. Doch dann fasst sich die junge Luna doch ein Herz und überreicht ihrem Schwarm einen kunstvollgestalteten Brief. Dieser ziert ein großes, rotes Herz sowie das Sternbild des Pegasus auf der anderen Seite. Denn Giuseppe ist leidenschaftlicher Reiter. Dieser Wagemut macht sich bezahlt: denn der engelsgleiche Giuseppe mag die rebellische Luna auch sehr – es kommt sogar zu einem ersten, zaghaften Kuss und für einen Moment scheint alles perfekt.
Doch bereits früh scheint sich etwas Bedrohliches dem aufkeimenden Glück in den Weg zu stellen. Dies unterstreicht das exzellente Sounddesign von SICILIAN GHOST STORY: von einem grimmig knurrender (Höllen-)Hund, plätschernden Wassertropfen, das kraftvolle Schlagen eines Pferdeherzens über das unheilvolle Säuseln des Windes durch die wäldlichen Blätter.
Neben der Geräuschkulisse und den schönen, sich zeitnehmenden Kameraeinstellungen sind die tollen Leistungen der jungen Nachwuchsdarstellern Julia Jedlikowska und Gaetano Fernandez zu nennen. Gerade Jedlikowska als Luna erinnerte mich durch ihre burschikose und starrsinnige Charakterzeichnung stark an Eleven aus STRANGER THINGS. Alle weiteren Charaktere wirken jedoch leider eher blass, vor allem da man oftmals nicht deren Handlungen und Emotionen nachvollziehen kann.
„Hier kann ich nicht träumen“
Gleich zu Beginn von SICILIAN GHOST STORY taucht die Kamera von der leicht gold funkelnden Dunkelheit in wellenbewegtes Licht – eine Gratwanderung zwischen zwei Welten mit einem Hoffnungsschimmer? Entsprechend dieser ersten Impressionen lassen die Regisseure Fabio Grassadonia und Antonio Piazza den Zuschauer lange im Dunkeln. Der Film basiert lose auf einem sehr bekannten italienischen Kriminalfall, der sich Ende der 90er Jahre auf Sizilien ereignete. Der konkrete Bezug auf die historische Vorlage wird jedoch erst zu Beginn des Abspanns deutlich.
Zuvor wankt der Film zwischen träumerischer Romanze und bedrückendem Mafia-Thriller sowie ernüchternder Realität und mythisch aufgeladenem Natur-Fiebertraum hin und her. Denn SICILIAN GHOST STORY spielt mit Anspielungen auf Märchen und Sagen: ein Mantel, der dem von Rotkäppchen gleicht oder eine beobachtende Eule, einem Symbol der griechischen Mythologie.
Doch hier liegt jedoch leider einer der Hauptschwachpunkte von SICILIAN GHOST STORY, denn dem Film fehlt es an den zuvor angepriesenen Elementen: Wo sind die brutalen, aber fantastischen Bilder? Die Geistergeschichte? Dieses so bedingte Rattern in meinem Kopf hat mich leider stellenweise meinem Einfühlungsvermögen für die Protagonisten beraubt. Dabei könnte wohl ein jeder in Lunas Gefühlswelt eintauchen, da diese in ihrem jungen Alter noch nicht akzeptieren kann und will, dass sie ihren Giuseppe verloren hat. Ihr kleines Herz weiß eben noch nicht, dass Liebe nicht einmalig ist und die Zeit alle Wunden heilt, so abgedroschen dies auch klingen mag. Dies heißt jedoch keineswegs, dass geliebte Menschen in Vergessenheit geraten – im Gegenteil: die Erinnerung an sie lebt weiter und umgibt uns. Wie ein lieb gewonnener Geist.
Leider ist SICILIAN GHOST STORY somit leider nicht ganz der Film, der dem Zuschauer zuvor versprochen bzw. angepriesen wurde. So findet man sich während des Films in einer gewissen Orientierungslosigkeit wieder. Darüber hinaus ist der Film mit über zwei Stunden etwas zu lang geraten.
Nichtsdestotrotz ist SICILIAN GHOST STORY nicht nur eine gefühlvolle und innovative Neuinterpretation von Romeo und Julia, sondern auch eine Ode an Sizilien und zugleich Kritik am dort omnipräsenten Mafiatum sowie der damit verbundenen Ohnmacht der Bewohner. Für unvoreingenommene Zuschauer, Fans von langsamen audio-visuellen Genüssen sowie Coming-of-Age Liebhaber ist SICILIAN GHOST STORY dennoch definitiv einen Blick wert.
7 / 10
Titel: | Sicilian Ghost Story |
Produktionsjahr: | 2017 |
Altersfreigabe: | keine Angabe |
Regie: | Fabio Grassadonia, Antonio Piazza |
Cast: | Julia Jedlikowska, Gaetano Fernandez, Corinne Musallari, Andrea Falzone, Federico Finocchiaro, Lorenzo Curcio, Vincenzo Amato, Sabine Timoteo, Filippo Luna, Baldassarre Tre Re, Rosario Terranova |
Produktionsland: | Italien, Frankreich, Schweiz |
Länge: | 122 Minuten |
Verfügbar auf: | – |
Trailer:
Beitragsbild: © Fantasy Filmfest
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