Das brandneue Testament (2015)
„Gott ist ein Arsch“
Leben wie ein Gott in Frankreich – diese Phrase kennen die meisten. Doch wie würde Gott wohl in Belgien leben? Einen möglichen Entwurf dieses Gedankenexperiments skizziert Jaco Van Dormael in seinem neuem Film DAS BRANDNEUE TESTAMENT. Was dabei herausgekommen ist, ist ein Werk, das zwischen Poesie und Polemik taumelt.
Gott existiert. Echt jetzt. Zumindest im Film DAS BRANDNEUE TESTAMENT. Doch wirklich gut kommt unser „Schöpfer“ nicht dabei weg. Mit Frau und Tochter Éa lebt er in einer maroden Drei-Zimmer-Wohnung im obersten Stock eines unscheinbaren Hochhauses in Brüssel. Scheinbar ohne jeglichen Ein- oder Ausgang.
Gott (Benoît Poelvoorde), ein Chauvi im karierten Flanellmorgenmantel, mit Schlappen und siffigem Feinrippshirt, ertränkt sein Dasein in Alkohol und Zigaretten. Ein ziemlich übler Zeitgenosse. Am liebsten verbringt er die Tage im Büro, seiner Schaltzentrale des menschlichen Elends. Hier treibt Gott seine sadistischen Spielchen mit den Menschen oder denkt sich stets neue Gebote aus, die mittlerweile in die Tausende gehen. Für seine 10-jährige, präpubertäre Tochter und seine wortkarge Frau ist dieser, von himmelhohen Karteikartenschränken gesäumte Raum und der sich darin befindende MS DOS-Rechner, verbotenes Terrain.
Synthetik, 40° & 1.200 Umdrehungen
Éa (Pili Groyne) hat die Nase voll. Sie will es besser machen als ihr Vater. Zunächst möchte sie ihm jedoch ordentlich die Tour vermasseln. Guter Rat ist teuer: eine zum Leben erweckte Statue ihres Bruders Jesus aka. JC (sprich: Dschi Säh) coacht sie. So schleicht sich Éa des nächtens in das Büro ihres Vaters, verschickt die Todesdaten jedes Menschen via SMS an diese und legt den PC ihres Vaters lahm. Anschließend entflieht sie der göttlichen Hölle durch die hauseigene Waschmaschine. Ihre Mission: sechs Apostel finden und ein brandneues Testament verfassen. Ihr Bruder Jesus hatte zu seiner Zeit bereits 12 Apostel um sich geschart – da können sechs mehr doch nicht schaden. Zudem besteht ein Baseball-Team ebenfalls aus 18 Mitgliedern – der Lieblingssport ihrer Mutter (Yolande Moreau).
Angekommen im göttlichen Epizentrum Brüssel, schließt sich Éa der Obdachlose Victor an, der als ihr Schreiberling das „brandneue Testament“ aufsetzen soll. Dieses soll aus den Geschichten ihrer sechs Apostel bestehen, die sie zufällig aus dem Karteischrank Gottes gezogen hat. Nachdem Gott – noch volltrunken – in den Nachrichten vom „Deathleak“ erfährt, so der Name den die Menschen der SMS Flut gegeben haben, macht er sich zum ersten Mal auf den Weg zur Erde, um seine ausgebüchste Tochter ausfindig zu machen.
Parallel sucht Éa jeden ihrer sechs Apostel auf. Zusammen bilden sie ein Ensemble aus wunderbaren Verlierern, die aus den unterschiedlichsten Gründen mit ihrem Leben hadern. Und so erfahren wir episodenhaft in „Evangelien“ die jeweiligen Lebensgeschichten der neuen Apostel.
Bibel Reloaded
Ich muss zugeben: diesen Film hatte ich nicht auf dem Schirm! Durch Zufall hörte ich dann doch recht Interessantes und beschloss ihn mir mit derlieben Miss FilmRiss anzusehen. Und was soll ich sagen, ich habe es nicht bereut. DAS BRANDNEUE TESTAMENT ist ein phantasievolles Gedankenspiel über die großen Fragen des Lebens. Warum ist die eigene Schlange langsamer als die an den anderen Kassen? Warum fällt das Marmeladenbrot immer auf die Marmeladen-Seite? Murphys Gesetz? Nein – Gottes Gebote! Dabei nimmt sich der Film nicht allzu ernst. Ja, es gab schon gewagtere Prämissen – „skandalösere“ Werke. DAS BRENDNEUE TESTAMENT ist dennoch skurril, frech und respektlos und damit wohl einer der witzigsten Religion-Satiren seit DAS LEBEN DES BRIAN. Ein blasphemischer Film also? Keineswegs. Außer vielleicht für religiöse Fundamentalisten.
Jaco Van Dormael (MR. NOBODY) bezaubert mit einer sehr bildhaften Sprache und Metaphern wie: „Ein Lachen, das sich wie Perlen über eine Marmor-Treppe ergießt.“ Viele Szenen werden mir persönlich lange im Gedächtnis nachhallen. So auch die Traumsequenzen, in denen der Tanz einer Hand auf dem Küchentisch oder ein schwebender, singender Fisch herrlich absurd inszeniert wurden. Stets fühlt man sich an die leichte, kindliche Naivität aus DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE erinnert.
Dadurch, dass Éa die Musik eines jeden Menschen hören kann, die er im Herzen trägt und ihn ausmacht, kommt eine überragende musikalische Federführung des Who-is-Who der klassischen Musik hinzu. Jedoch muss ich zugeben, dass mich Éa mit ihrer ständigen naiven Fragerei von Zeit zu Zeit etwas nervte, was denn mit Kindern oder Erwachsenen geschieht, wenn diese älter werden – und das eben nicht nur einmal. Auch ist DAS BRANDNEUE TESTAMENT ein Film mit einem etwas vorhersehbaren Ende.
Dennoch: der Film „holt einen stets ab“. Er ist in sich geschlossen, greift seine Motive erfreulicherweise immer wieder selbst auf und bildet somit einen gewissen Rahmen. Alles in allem ist der diesjährige Beitrag Belgiens zum Oscar zwar sehr speziell – aber fabelhaft komisch!
7,5 / 10
Titel: | Das brandneue Testament (Le tout nouveau testament) |
Produktionsjahr: | 2015 |
Altersfreigabe: | FSK 12 |
Regie: | Jaco Van Dormael |
Cast: | Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Pili Groyne, Catherine Deneuve, Emylie Buxin, Cyril Perrin |
Produktionsland: | Belgien, Frankreich, Luxemburg |
Länge: | 113 Minuten |
Kinostart: | 03. Dezember 2015 |
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Trailer:
Beitragsbild: © NFP Distribution
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